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Reil im 20. Jahrhundert

Hatte das 19. Jahrhundert schon erhebliche Veränderungen für Reil bedeutet, sollte es im 20. Jahrhundert nicht anders werden. Auch in diesem Fall waren es große weltpolitische Ereignisse, die sich auf die Geschicke der Dorfbewohner auswirken sollten. Aber stärker noch veränderten die technischen Neuerungen das Leben an der Mosel. Elektrizität, Chemie und Motorisierung führten dazu, dass die Methoden des Weinanbaus sich stärker als in vielen Jahrhunderten zuvor veränderten.

Beliebte Sommerfrische

Ebenso wie in vielen anderen Regionen Deutschlands bedeutete der Beginn des Ersten Weltkrieges und damit das Ende der 43 Jahre andauernden Friedensepoche einen großen Einschnitt für das Dorf. Von den unmittelbaren Kampfhandlungen war Reil natürlich nicht betroffen, denn die Kriegsfront lag mehr als hundert Kilometer moselaufwärts. Der Tribut war dennoch hoch: 48 Reiler Soldaten starben in den Gräben an der Front. Und ein Stolz des Dorfes, das aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammende, angeblich schönste Glockengeläut an der Mosel, wurde zwecks Metallgewinnung eingeschmolzen.

Die Zeit nach dem Krieg brachte den Moselanern ein weiteres Mal eine französische Besatzung. Starke separatistische Bewegungen strebten einen Abfall der Rheinprovinz vom Deutschen Reich ein. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich, was in der Erstürmung des Bernkasteler Finanzamtes im Februar 1926 gipfelte. Selbstverständlich unter Beteiligung von Reilern. Aus touristischer Sicht muss es in dieser Zeit aber sehr reizvoll gewesen sein, das Moseltal zu erkunden. Dörfer und Landschaft hatten sich noch ihren ursprünglichen Charakter bewahrt. Dennoch konnte man bequem mit dem Zug die reizvolle Strecke entlangfahren und in den zahlreichen Gasthäusern unterkommen. Besonders begeistert von Reil zeigte sich Anfang der zwanziger Jahre der Reiseschriftsteller Arthur Richter-Heimbach, der in dem Ort offensichtlich gut aufgenommen worden war. Einen langen Abschnitt seiner Betrachtungen widmet er Reil, dessen dörfliches Treiben er wie folgt schilderte: "Unter den dörflichen Siedelungen an der Mosel hat wohl keine zweite neben Reil eine in der ganzen Länge des Ortes so unmittelbar am Strom hinführende Uferstraße. So ist das ländliche Leben des Moselaners, soweit es sich am Wasser abspielt, denn auch hier ausnehmend prächtig zu beobachten. In den frühen Abendstunden schöner Sommertage entfaltet sich hier ein gar geschäftiges Treiben, dessen bunte Vielgestaltigkeit ungemein malerisch wirkt und, durch das Leben auf dem Strome selbst noch erhöht, auf Auge und Gemüt des Landfremden einen ganz eigenartigen Reiz auszuüben vermag." Ebenfalls gut erging es dem Journalisten und Schriftsteller P.C. Ettighoffer, der im Mai 1931 inkognito als Tippelbruder unterwegs war und über Reil zu berichten wusste: " Über Reil habe ich ja schon viel Gutes gehört. Ich weiß, daß es dort ein fabelhaftes Weinchen gibt, weiß auch, daß dort gute Leute wohnen, die einem Kumpel unter Umständen gern mal ein warmes Essen geben."

Vereine blühen auf

Die Reiler selbst entdeckten in jenen Jahren verstärkt das Vereinsleben. Neben dem Männergesangverein, den es schon seit 1862 gab, wurden ein Sportverein, ein Theaterverein, ein Mandolinenorchester und eine Feuerwehr mit eigener Musikkapelle ins Leben gerufen. Wie stolz die Reiler auf ihre Erfolge und Geschichte waren, zeigt ein Festbuch zum 65jährigen Bestehen des Gesangvereins. Darin heißt es: "So hat die Zeit und der Reiler Fleiß ein wohlhabendes Dorf geschaffen mit einer fortschrittlichen Bevölkerung, die ihr ganzes Können, ihre ganze Kraft in den Kampf ums Dasein einsetzt, treu der Heimat und treu dem Vaterland." Das Gedicht vom Reiler Wein, das der Dorfschullehrer Joseph Steinborn schuf, kann es mit dem Vorbild des alten Ausonius leider nicht aufnehmen.

Aber auch während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus konnten die Reiler ein Vorhaben nicht umsetzen, das schon vor dem Ersten Weltkrieg geplant worden war: den Bau einer Brücke. Dies gelang erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Von diesem Krieg selbst war das Dorf weitgehend verschont geblieben. Zwar starben rund doppelt so viele Reiler Soldaten als im Krieg zuvor, doch fielen zumindest keine Bomben auf Reil. Auch keine Blindgänger, die die Eisenbahnbrücke bei Bullay hätten treffen sollen.

Die Reiler Brücke wurde schließlich 1953 dem Verkehr übergeben. Deren Bau verzögerte sich auch in den fünfziger Jahren ein weiteres Mal aus geopolitischen Gründen. Durch die Korea-Krise war auch im Nachkriegs-Deutschland der Stahl knapp geworden. Die sechs Betonpfeiler ragten ein Jahr lang ohne die dazugehörige Fahrbahn aus dem Wasser.

Neue Brücke, neue Vermarktung

In den Jahrzehnten nach dem Krieg erreichte die Weinproduktion in Reil ihren Höhepunkt. Möglich wurde dies durch den verstärkten Einsatz von Technik und Chemie. In den fünfziger und sechziger Jahren schafften sich die Winzer Traktoren an. Kunstdünger und Spritzmittel wurden vermehrt eingesetzt. Da Ochsen nicht mehr als Zugtiere benötigt wurden, verlor die bis dahin übliche Landwirtschaft an Bedeutung. Heuwiesen im Moselschwemmland wurden zu Weinbergen. Die Gemeinde suchte nach neuen Absatzwegen für den Wein und setzte verstärkt auf Werbung. Mit dem "Reiler vom heißen Stein" propagierte sie eine eigene Gebietslage, die sie mit der fantasievollen Geschichte vom Pfalzgrafen ausschmückte. "Nur dieser Wein war's weit und breit, der mich aus Teufels Klau'n befreit. So sprach der Pfalzgraf, doch den Wein, den nannte er: Vom heißen Stein." Den Slogan "Trink Reiler Wein vom heißen Stein" ließ die Gemeinde auf durchaus geschmackvoll gestaltete Prospekte drucken, die für einen Urlaub in dem "tausendjährigen Weindorf" warben. Für einen starken Andrang von Gästen sorgte auch ein Moto-Cross-Rennen, das seit Anfang der fünfziger Jahre regelmäßig auf dem Reiler Heißen Stein gestartet wurde. In Verbindung mit dem Wein- und Heimatfest ging es am zweiten Sonntag im August eines jeden Jahres im Dorf hoch her. Inzwischen lockt jedoch das Straßenfest in der stimmungsvollen Dorfstraße mehr auswärtige Besucher an.

Die Flurbereinigung in den sechziger und siebziger Jahren warf die Landschaft dann hemmungslos der rationellen Bewirtschaftung unter. Neue Wege schnitten sich in die Hänge. Selbst schattige Obstwiesen, auf denen wohl noch nie Wein angebaut worden war, wurden zu Rebflächen. Die neuen Wandermöglichkeiten in den Weinbergen nutzte die Gemeinde immerhin dazu, den ersten Weinlehrpfad an der Mittelmosel einzurichten. Nur eine geringe unmittelbare Bedeutung für den Ort hatte die Kanalisierung der Mosel in den sechziger Jahren. Wichtiger war dagegen der Bau der Eifelautobahn und der Ausbau der Bundesstraße 53, die anstelle der alten Saufbahn nun zur wichtigsten Verkehrsader der Mittelmosel wurde.

Ende des Weinbooms

Der Mechanisierung des Weinanbaus sind an den Steillagen der Mosel jedoch Grenzen gesetzt. So führte ein starker Verfall der Fassweinpreise in den neunziger Jahren dazu, dass immer mehr Weinberge brach liegen gelassen wurden. Reil ist davon besonders stark betroffen. Von den ursprünglichen 230 Hektar Rebfläche wird nur noch die Hälfte bebaut. Dies liegt daran, dass die Zahl der hauptberuflichen Winzer stark zurückgegangen ist. Zu einer regelrechten Landflucht ist aber noch nicht gekommen. Die Einwohnerzahl hält sich bei rund 1200. Anders als in vielen Jahrhunderten zuvor ermöglichen es Auto und Bahn, dass man in Reil gut wohnen kann, ohne Winzer sein zu müssen. Die größeren Städte wie Wittlich, Simmern, Trier und Koblenz sind für eine tägliche Fahrt zum Arbeitsplatz gut zu erreichen. Es dürfte nur wenige Orte in Deutschland geben, die bei dieser Einwohnerzahl noch über eine Grundschule, einen Kindergarten und einen eigenen Bahnanschluss verfügen.

Brach liegende Weinberge

 

Zum Anfang dieser Seite Zuletzt aktualisiert am 18.November 2007   © Friedhelm Greis