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Reil im 19. Jahrhundert

"Das seltsamste an diesem Jahrhundert ist", schrieb Alfred Kerr über die Zeit zwischen 1800 und 1900, "daß es mit Napoleon dem Ersten beginnt und mit Wilhelm dem Zweiten schließt." Weniger seltsam ist dagegen, dass diese beiden Figuren, - und damit die Ereignisse, die zu ihrer Regentschaft führten -, auch für Reil von enormer Bedeutung waren. Die Französische Revolution und die Gründung des Deutschen Reiches riefen selbst in den kleinen Orte an der Mosel große Veränderungen hervor.

Ende des Kröver Reiches

Als die Franzosen im Sommer 1789 begannen, sich ihres alten Regimes zu entledigen, war noch nicht abzusehen, dass wenige Jahre später auch das letzte Stündlein für das tausend Jahre alte Kröver Reich geschlagen haben sollte. Nachdem das revolutionäre Frankreich die Angriffe der Koalitionsstaaten Preußen und Österreich erfolgreich abgewehrt hatte, rückten die französischen Truppen 1793 in das linksrheinische deutsche Gebiet vor. Für die Moselaner war das nichts Ungewöhnliches, denn seit dem Dreißigjährigen Krieg waren die Franzosen regelmäßig in die Region vorgedrungen und hatten versucht, dort militärisch Fuß zu fassen. Zuletzt waren sie 1735 aufgetaucht, zogen aber nach einer Niederlage gegen die Reichsarmee bei Wittlich für einen Zeitraum von 60 Jahren wieder ab. Die Besetzung durch die französischen Heere sollte aber längerfristige Folgen als die früheren Kriege haben.

Nach dem Frieden von Campo Formio im Jahre 1797 passten die Franzosen die überkommenen Herrschaftsstrukturen im besetzten Deutschland ihrem zentralistischen Verwaltungssystem an. Das Kröver Reich fiel an das Departement de la Sarre, das seinen Hauptsitz in Trier hatte. Das französische Recht wurde eingeführt. Wichtig für die Moselregion war auch der Friede von Luneville von 1801, mit dem die linksrheinischen Gebiete endgültig an Frankreich abgetreten und den übrigen französischen Departements gleichgestellt wurden. Damit wurde es auch möglich, den Besitz der geistlichen Einrichtungen zu säkularisieren. Die Klöster mussten ihre Höfe in Reil abgeben. Im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 regelten die deutschen Fürsten die mit der Säkularisierung verbundenen Veränderungen. Die französische Regierung versteigerte zwischen 1807 und 1808 die früheren Reiler Klosterhöfe.

Tragische Kriegsfolgen

Für die Reiler hatten die Wirren der Napoleonischen Kriege noch eine besonders tragische Auswirkung. In einer Ortschronik von 1927 heißt es: "1812 kam ein Schiff mit toten und nervenkranken Franzosen und landete in Reil. Die Toten wurden nördlich von Reil, 'in der Fuhrt', begraben, die Stätte heißt heute noch 'Franzosenkaul'. Da die kranken Franzosen von der Bürgerschaft verpflegt wurden, trat das Nervenfieber unter den Einwohnern auf und der größte Teil der Bevölkerung wurde dahingerafft." Dass diese Schilderung mit den Tatsachen übereinstimmt, ist stark zu bezweifeln. Immerhin dürfte Reil zu dieser Zeit rund 900 Einwohner gehabt haben. Was bedeuten würde, dass mehrere hundert Menschen an der mysteriösen Nervenkrankheit gestorben sein müssten. Einer anderen Quelle zufolge starben daher "nur" 90 Reiler an der Seuche, bei der es sich um Typhus gehandelt haben soll.

Die Veränderungen im Gefolge der französischen Besatzung waren so tiefgreifend, dass sie auch nach der endgültigen Niederlage Napoleons im Jahre 1815 nicht mehr rückgängig gemacht wurden. Die Kurfürstentümer Trier, Köln und Mainz erlebten keine Renaissance mehr. Auch das Kröver Reich nicht. Die linksrheinischen Departements wurden stattdessen Preußen sowie Bayern und Österreich zugeschlagen. Die Preußen gründeten zunächst das provisorische Generalgouvernement Nieder- und Mittelrhein, das nach dem Wiener Kongress schließlich zur Provinz Großherzogtum Niederrhein umbenannt wurde. 1824 wurde dieses Gebiet mit der Provinz Jülich-Kleve-Berg zur Rheinprovinz vereinigt. Die Grenze zwischen den Regierungsbezirken Trier und Koblenz verlief an der Reiler Gemarkung. Die Nachbarorte auf der rechten Moselseite hatten auch zu Zeiten der französischen Besatzung schon zum Departement Rhin et Moselle mit Sitz in Koblenz gehört.

Reiler gegen Preußen

Die Zugehörigkeit zu Preußen brachte den Moselbewohnern zunächst keine greifbaren Vorteile. In seiner Funktion als Redakteur der "Rheinischen Zeitung" sah sich Karl Marx genötigt, die Missstände an der Mosel anzuprangern und die preußische Regierung dafür mitverantwortlich zu machen. Die Reiler scherten sich ohnehin nicht um die Vorschriften der neuen Landesherrn. Einer zeitgenössischen Quelle zufolge behielten sie die alten Gewohnheiten der Selbstverwaltung bei und akzeptierten die preußische Gemeindeordnung nicht. So bestanden sie darauf, die Schöffen für ihre Gerichte selbst zu wählen. In der Übersetzung der "Eiflia Illustrata" heißt es über die Reiler: "Die Rottmänner, so werden die Vorsteher der neuen Rotten genannt, in welche das Dorf eingeteilt ist, mischen sich noch immer in alle Verwaltungsangelegenheiten. Sie bildeten das Kittelgericht, welches davon seinen Namen erhalten haben soll, weil in früheren Zeiten einem jeden Mitglied dieses Bürgerausschusses auf Kosten der Gemeinde bei seinem Antritt ein neuer Kittel verabreicht werden musste." Auch hielten die Reiler und Kröver an den vierteljährlichen Dorfgerichtstagen fest, wo die Strafen, die die Verurteilten bezahlen mussten, an Ort und Stelle wegetrunken wurden.

Die Not jener Tage bewegte viele Reiler dazu, der Heimat für immer Adieu zu sagen und ihr Glück in der Neuen Welt zu versuchen. Manche zog es nach Brasilien, wo einer ihrer Nachfahren, Paulo Evaristo Arns, als Kardinal von Sao Paulo in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Volksheld wurde. Andere wanderten in die USA aus und kamen, wie beispielsweise Thomas Brisch, zu einem ansehnlichen Vermögen, mit dem sie später ihre alte Heimat unterstützten. Eine ganze Gruppe von Moselanern aus Reil und Briedel wagte 1857 zusammen mit österreichischen Auswanderern sogar den Aufbruch in den peruanischen Dschungel. Der von ihnen gegründete Ort Pozuzu gilt als sprachliches Kuriosum, weil dort noch immer der Dialekt der isoliert lebenden Einwanderer gesprochen wird.


Trotz der vielen Probleme ging es aber auch in Reil im 19. Jahrhundert voran. Ein sichtbarer Ausdruck dafür war auch der Neubau der Pfarrkirche, der 1841 vollendet wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Reiler immer noch zum Gottesdienst auf die andere Moselseite übersetzen. Der Kirchenvorstand beschwerte sich 1834 wie folgt über diesen Zustand: "Von Mitte Oktober bis Anfang Mai hindern schlechte Witterung, hoher Wasserstand, Wind und Wellen, Eis und Kälte das Überfahren. Es ist dann unmöglich, eine ganze Gemeinde von 1200 Seelen den Elementen anzuvertrauen, die sich vereinigen könnten, dieselbe zu verderben." Von Denkmalschutz war in jenen Jahren noch nicht die Rede. Die alte Kirche mit ihrem fast tausend Jahre alten romanischen Turm wurde vollständig niedergerissen und sogar zur Ausbesserung eines Leinpfades benutzt. Allerdings begruben die Reiler noch bis ins 20. Jahrhundert ihre Toten auf dem Reilkircher Friedhof.

Kaiserstraße zum Nordbahnhof

Für eine Verbesserung der materiellen Versorgung schien sich ebenfalls ein Pfarrer besonders eingesetzt zu haben. Einem Reiseführer zufolge begann der Reiler Aufschwung nach 1850: "Das war in der Jahren, da der Pastor Willibrord Dany der Seelsorger der Gemeinde war. Der hielt streng auf Ordnung und Zucht, bei den Jungen wie bei den Alten, und, selber einer einfachen Landwirtsfamilie entstammend, griff er auch die landwirtschaftliche Arbeit herzhaft an, seinen Bauern ein trefflich Vorbild und einen steten Ansporn zu immer höheren und besseren Leistungen gebend." In die Amtszeit Danys fiel im Jahre 1866 allerdings auch eine Cholera-Epidemie, an der 63 Reiler starben.

Die Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass Reil zu einer der größten Weinbaugemeinden an der Mosel aufstieg. Begünstigt wurde dieser Aufschwung durch die deutsche Reichsgründung. Nach dem Krieg von 1870/71 sah sich die preußische Regierung genötigt, das Grenzgebiet zu Frankreich auch verkehrstechnisch besser zu erschließen. Die "Kanonenbahn" von Berlin nach Metz wurde gebaut. Zwar zweigt die Eisenbahnlinie zwischen Trier und Koblenz am Reiler Hals in die Eifel ab, doch eine Nebenstrecke nach Traben-Trarbach schloss Reil im Jahre 1883 an das Eisenbahnnetz an. Die Strecke ist immer noch in Betrieb und gilt als kürzeste Nebenstrecke im Netz der Deutschen Bahn. Mit der besseren Verkehrsverbindung erschlossen sich die Moselaner auch neue Absatzgebiete für ihren Wein, der im Berlin der Kaiserzeit gern getrunken wurde.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts trug der neue Wohlstand dazu bei, das Ortsbild entscheidend zu verändern. Eine breite Straße, selbstverständlich Kaiserstraße genannt, verband die Mosel mit dem neu erbauten Bahnhof. Viele repräsentative Gebäude im Gründerzeitstil geben noch heute Zeugnis vom Reichtum dieser Epoche. Selbst eine zweite Bahnstation durfte Reil bald sein eigen nennen. Die Moseltalbahn, auch Saufbähnchen genannt, nahm 1905 ihren Betrieb auf. Nach und nach entwickelte sich mit den guten Reisemöglichkeiten der Tourismus an der Mosel. Reil wurde mit seinen Gasthöfen und Hotels zu einer beliebten Sommerfrische.


Literatur

SCHIFFHAUER, Joachim: Die untergegangene Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Reilkirch. In. Kurtrierisches Jahrbuch 2 (1962), S. 82-95.

Festbuch zum 65jährigen Wiegenfeste des Männergesangvereins Cäcilia Reil, Pfingsten 1927.

SCHAAF, Erwin; MÖTSCH, Johannes: Beiträge zur Geschichte des Kröver Reiches. Bernkastel-Kues 1998.

SCHANNAT, Johann Friedrich: Eiflia illustrata oder Geographische und historische Beschreibung der Eifel. Aus dem lateinischen Manuscripte übersetzt, mit Anmerkungen und Zusätzen bereichert, nebst vielen Abbildungen von Alterthümern, Sigillen und Wappen hrsg. von Georg Bärsch.

 

Zum Anfang dieser Seite Zuletzt aktualisiert am 19.Februar 2006   © Friedhelm Greis