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Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Fachbereich 01 Katholische Theologie
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die
Vermittlung der Bedürfnisse des Einzelnen und aller im System der
Bedürfnisse
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der
Schutz der bürgerlichen Freiheiten in der Rechtspflege
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die
Vorsorge gegen Zufälligkeit und Besorgung des besonderen Interesses als
eines Gemeinsamen durch Polizei und Korporation
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Der zweite Stand ist der eigentlich die Industriegesellschaft prägende. Hegel bezeichnet ihn auch als den Stand des Gewerbes, der den Handwerksstand, den Fabrikantenstand und den Handelsstand umfaßt (§ 204). Während der erste Stand in ruhigem Vertrauen auf Gott von der Natur die Gaben des Bodens empfängt, verdankt der Gewerbestand sein Fortkommen einzig und allein seiner eigenen Arbeit und seinem unternehmerischen Handeln. Diesem Stand obliegt es, die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse, soweit es keine Naturprodukte sind, herzustellen und untereinander zu vermitteln. Der Stand des Erwerbsbürgers ist nach Hegel ein Produkt der Städte.5
Schließlich existiert für Hegel noch ein dritter Stand, der »die allgemeinen Interessen des gesellschaftlichen Zustandes« zur Aufgabe hat (§ 205). Für ihre Subsistenz müssen die Staatsdiener entweder aus eigenem Vermögen sorgen können, oder sie müssen vom Staat alimentiert werden, damit auch sie ihr »Privatinteresse« befriedigen können (ebd.).
Schon an dieser Stelle wird deutlich - da man sich fragt, wo die Masse der einfachen Angestellten und Arbeiter ihren Platz hat -, daß es mit der Organisation des zweiten Standes etwas besonderes auf sich haben muß, da dort, z.B. im Fabrikantenstand, sowohl Arbeiter als auch Unternehmer integriert sein müssen. Wie Hegel dieses Problem zu lösen versucht, wird im Abschnitt 5.3.2 Die Korporation zu sehen sein.
Die Frage, ob hier eine fundamentale Fehleinschätzung des Freiheitsbewußtseins vorliegt, das sich nicht auf eine bestimmte soziale Rolle festlegen lassen will und nach gesellschaftlichem Ausgleich strebt, wird weiter unten diskutiert werden müssen.[6]
In diesem Sinne behauptet Hegel in seinen Ausführungen, daß das
Recht als Allgemeines gesetzt werden muß, d.h. zum Gesetz und
damit zum positiven Recht wird (§ 211). Daß es dabei zum
Gegensatz zwischen positiven Recht und Naturrecht kommen kann, wird von Hegel
nicht bestritten. Schon im § 3 hatte er auf deren Gegensatz Bezug genommen und
deren Verhältnis bestimmt. Zum Recht des subjektiven Willens gehört
nun,
(...) daß das, was er als gültig anerkennen soll, von ihm
als gut eingesehen werde und daß ihm eine Handlung, als der in die
äußerliche Objektivität tretende Zweck, nach seiner
Kenntnis von ihrem Werte, den sie in dieser Objektivität hat, als
rechtlich oder unrechtlich, gut oder böse, gesetzlich oder ungesetzlich
zugerechnet werde. (§ 132)
Daraus folgt, daß man sich mit dem geltenden Rechte bekanntzumachen hat und, darin eingeschlossen, die Notwendigkeit, »daß die Gesetze allgemein bekannt gemacht seien.« (§ 215). Diese Bekannt- und Verständlichmachung ist letztlich ein »großer Akt der Gerechtigkeit« (§ 215 Anm.). Die gesetzliche Anerkennung und Gültigkeit von Privateigentum und Persönlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft führen schließlich dazu, daß Verbrechen gegen diese einen Angriff auf die Allgemeinheit und somit eine andere Bewertung derselben hinsichtlich Gefährlichkeit und Strafe implizieren.
Der Ort der Rechtsprechung ist in der bürgerlichen Gesellschaft allein das Gericht, als unabhängige Instanz, dem sich auch Fürsten und Regierung unterstellen müssen (§ 219). Das Gericht vertritt nun den allgemeinen Willen, wie er schon im Abschnitt Unrecht als Teil des abstrakten Rechts entwickelt wurde (vgl. § 102). Jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft muß sich nun diesem allgemeinen Willen stellen, wie er im Gericht verkörpert wird, ohne Privatrache üben zu dürfen (§ 221). Das Gericht muß nun den Anspruch erfüllen, in seiner Rechtsprechung einen nachvollziehbaren Rechtsweg zu durchlaufen. Zu diesem gehört u.a. die Öffentlichkeit der Rechtspflege, was alles dazu führen soll, daß betroffene Bürger »Zutrauen« zum Rechte haben, Entscheidungen akzeptieren können und »die Bürger die Überzeugung gewinnen, daß wirklich Recht gesprochen wird.« (§ 224 Zus.).
Alles in allem führt der gesamte Bereich der Rechtspflege dazu, daß die Auseinanderdividierung von Besonderheit und Allgemeinheit zumindest im Einzelfall wieder aufgehoben wird, und das auch nur innerhalb des abstrakten Rechts. Bei dieser Weise der Verbindung von Besonderheit und Allgemeinheit darf die Gesellschaft jedoch nicht stehenbleiben, so daß Hegel sich im weiteren Verlauf mit anderen Ausprägungen dieser Verbindung, Polizei und Korporation befaßt.
Schließlich kann es auch nicht Aufgabe der einzelnen Unternehmen oder gar Individuen sein, Verhältnisse zu überschauen, die über ihren eigentlichen Horizont hinausgehen, aber dennoch Einfluß auf ihren Lebensvollzug haben können. Die nationale und internationale Arbeitsteilung und die Abstraktheit des Marktes, für den produziert wird, machen es erforderlich, daß auf dieser Ebene Vorkehrungen getroffen werden, die einen kontinuierlichen Arbeitsprozeß ermöglichen (ebd.).
Die Frage nach dem wirtschaftlichen Einfluß bzw. der ökonomischen Eigentätigkeit des Staates wird seit jeher stark diskutiert. Auch Hegel nimmt in der Anmerkung zu § 236 dazu Stellung. Er vergleicht zunächst die Extrempositionen eines ökonomischen Liberalismus mit dem Sozialismus, d.h. einer zentral gesteuerten Wirtschaftstätigkeit. Prinzipiell befürwortet Hegel Gewerbe- und Handelsfreiheit, jedoch räumt er ein, daß es notwendig sei, »die gefährlichen Zuckungen und die Dauer des Zwischenraums, in welchem sich die Kollisionen auf dem Wege bewußtloser Notwendigkeit ausgleichen sollen, abzukürzen und zu mildern.« (§ 236 Anm.). Natürlich kann Hegel hier keine konkreten Angaben machen, auf welche Weise der Staat Konjunkturpolitik betreiben soll, aber zumindest stellt er fest, daß es nicht der Wirtschaft, die auf den individuellen Interessen basiert, allein überlassen werden kann, die ihr eigenen Zeiträume zum Ausgleich der Interessen zu bestimmen und währenddessen davon betroffene Personen darunter leiden zu lassen. Daher fordert Hegel: » (...) die Gewerbefreiheit darf nicht von der Art sein, daß das allgemeine Beste in Gefahr kommt.« (§ 236 Zus.).
Im folgenden geht es Hegel darum, festzustellen, wie die Gesellschaft zu reagieren hat, wenn Teile ihrer Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, für ihre Subsistenz zu sorgen. Im § 240 bezieht er sich zunächst auf Fälle von Verschwendungssucht, die betroffene Familien an den Rand des Ruins treiben. In diesem Falle muß der Staat die Vormundschaft der betreffenden Personen übernehmen. Dabei geht es nicht nur darum, Menschen vor dem Verhungern zu bewahren, »sondern der weitere Gesichtspunkt ist, daß kein Pöbel entstehen soll.« (§ 240 Zus.). Um diese Problematik geht es auch im darauffolgenden Paragraphen. Nicht nur durch Verschwendungssucht, d.h. Willkür, können Individuen in Armut verfallen, sondern durch vielfältigste Umstände (§ 241). Hegel charakterisiert diesen Zustand der Individuen dadurch, daß er »ihnen die Bedürfnisse der bürgerlichen Gesellschaft läßt«, aber »sie aller Vorteile der Gesellschaft, Erwerbsfähigkeit von Geschicklichkeiten und Bildung überhaupt, auch der Rechtspflege, Gesundheitssorge, selbst oft des Trostes der Religion usf. mehr oder weniger verlustig macht.« (ebd.) Auch in diesem Falle muß der Staat anstelle der Familie einspringen und für die Subsistenz der Betroffenen sorgen, nicht nur, damit ihrer augenblicklichen Not abgeholfen wird, sondern damit sie sich in ihrer weiteren Einstellung gegenüber der Gesellschaft nicht gegen diese wenden. Von daher ist es auch erforderlich, daß die Armenfürsorge nicht der subjektiven Mildtätigkeit überlassen, sondern aus diesem Kreise in eine allgemeine Institution überführt wird (§ 242). Dies schließt nicht ein, daß das Individuum von jeder eigenen Hilfstätigkeit abgehalten werden soll, ganz im Gegenteil, jedoch kann »Lampenbrennen bei Heiligenbildern« für Hegel letztlich keine Straßenbeleuchtung ersetzen (§ 242 Anm.).
Hegel unterscheidet dabei zwischen Armut und Pöbel: Die Grenze, ab der ein Mensch als arm bezeichnet wird, ist von Land zu Land verschieden, jedoch wird unter "Pöbel" die Gesinnung verstanden, nach der sich jemand gegen die ihm gegenüberstehenden »Reichen, gegen die Gesellschaft, gegen die Regierung usw.« auflehnt und sich ungerecht behandelt fühlt, bzw. durch seine Armut gänzlich die Initiative verliert, sich wieder als vollständiges Mitglied der Gesellschaft zu fühlen und sich wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern (§ 244 Zus.). In diesem Sinne stellt Hegel fest: »Die wichtige Frage, wie der Armut abzuhelfen sei, ist eine vorzüglich die modernen Gesellschaften bewegende und quälende.« (ebd.).
In diesem Zusammenhang weist er nachdrücklich darauf hin, daß es bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit nicht darum gehen soll, durch finanzielle Umverteilungsmaßnahmen die Beschäftigungslosen materiell zu versorgen, weil es notwendig ist, daß der Einzelne sich durch seine Arbeit mit der Gesellschaft vermittelt (§ 245). Andererseits sieht Hegel die Gefahr, daß es bei Vollbeschäftigung zu einer Überproduktion wegen Mangels an Konsumenten kommt und dadurch die Arbeiter wieder ihren Arbeitsplatz verlieren (ebd.). Die bürgerliche Gesellschaft ist somit nicht in der Lage, mit der »Erzeugung des Pöbels« mit Hilfe ihres eigenen Instrumentariums und selbst »bei dem Übermaße des Reichtums« fertig zu werden (ebd.). Durch diese »Dialektik« wird die bürgerliche Gesellschaft dazu gezwungen, die eigene Überproduktion zu exportieren, um auf diese Weise sowohl ihre Mitglieder vollständig zu beschäftigen als auch das Ergebnis dieser Arbeit vollständig veräußern zu können (§ 246).[12] Dies erhöht für Hegel ebenfalls die Bedeutung des internationalen Handels, da er die Wirtschaft mit Rohstoffen versorgt und mit Absatzmärkten verbindet. Eine weitere Notwendigkeit der Expansion der damaligen aufstrebenden Industrienationen bestand auch durch die bereits im § 243 festgestellte »fortschreitende Bevölkerung«. Millionen von Menschen aus allen Staaten Europas trieb es aus wirtschaftlichen, politischen und religiösen Gründen vor allem im 19. Jahrhundert in die neue Welt. Hegel unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen sporadischer und systematischer Kolonisation (§ 248).[13] Auch an diesem Gedanken wird sichtbar, wie schwer es erschien, die aufkommenden Probleme innerhalb der betreffenden Staaten selbst zu lösen.
Aus dieser der Industriegesellschaft immanenten Dialektik führt nach Hegel schließlich nur das Prinzip, daß »nach der Idee die Besonderheit selbst dieses Allgemeine, das in ihren immanenten Interessen ist, zum Zweck und Gegenstand ihres Willens und ihrer Tätigkeit macht.« (§ 249). Dies läßt sich in der Korporation verwirklichen.
Ohne Zweifel liegt bei einer Vergenossenschaftlichung der gesamten Wirtschaft eine starke Regulierung und Planung zugrunde, die Hegel jedoch damit begründet, daß die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit »zur Vernünftigkeit bestimmt« ist (§ 254). Diese Bestimmung ist in dieser Form sehr vage, und es bleibt offen, wie die Einschränkung der unternehmerischen Initiative genau festgelegt werden soll.
Die Aufgaben und Kompetenzen der Korporation sind in diesem Konzept sehr umfangreich und weitgehend. Es geht dabei vor allem um die Vermittlung von individuellen und allgemeinen Interessen in dem Sinne, daß die Notwendigkeit der formellen Allgemeinheit auch das besondere Wohl ihrer Mitglieder nicht aus dem Blick verlieren darf, wenn sie sich nicht selbst untergraben will. Innerhalb der Wirtschaft besitzt die Korporation daher eine monopolartige Stellung und unterliegt der Gefahr der Selbstgenügsamkeit und des Stillstandes, was es erforderlich macht, daß sie »unter der Aufsicht der öffentlichen Macht« liegt (§ 252), so daß sie nicht »in sich verhausen und zu einem elenden Zunftwesen herabsinken« kann (§ 255 Zus.).
In unseren modernen Staaten haben die Bürger nur
beschränkten Anteil an den allgemeinen Geschäften des Staates; es ist
aber notwendig, dem sittlichen Menschen außer seinem Privatzwecke eine
allgemeine Tätigkeit zu gewähren. (ebd.)
Da Hegel an der notwendigen Differenzierung der Gesellschaft festhält, andererseits weit von radikaldemokratischen Vorstellungen entfernt ist, verlegt er die Identifizierung des Individuums mit dem Allgemeinen auf die persönliche Sphäre des Einzelnen innerhalb seiner Arbeitstätigkeit. Die Aktualität dieses Konzepts und seine Realisierungsmöglichkeiten stellen wesentliche Momente innerhalb der weiter unten zu führenden Diskussion dar.
Die Aufgaben und das Verhältnis der einzelnen staatlichen Institutionen untereinander darzustellen, oder darüber hinaus die Beziehungen der souveränen Staaten untereinander zu beschreiben, kann nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Dennoch werden im weiteren Verlauf der Diskussion an erforderlicher Stelle verschiedene Besonderheiten des Hegelschen Staatsaufbaus erläutert erden müssen, um das besondere Verhältnis von Staat und Gesellschaft zu veranschaulichen.
In bezug auf den einzelnen Menschen hat sie die Aufgabe, diese Bestimmungen »für seine Zeit« anzugeben und die Vernünftigkeit der Objektivierungen des Geistes, d.h. der gesellschaftlichen Institutionen, aufzuzeigen.[19] Dies ist ein Ausdruck des Glaubens an das Ideal der griechischen Polis, in der die Bürger in Übereinstimmung mit den Zielen der Gemeinschaft lebten und auf diese Weise den höchsten Grad der Freiheit genossen. Die dortige Übereinstimmung war eine natürliche, wogegen eine heutige das Prinzip der Subjektivität berücksichtigen muß und auf der Vernunft basiert.
Hegel stand daher vor der Aufgabe, das seit der Französischen Revolution konkret gewordene Freiheits- und Unabhängigkeitsstreben mit der Angewiesenheit auf eine Gemeinschaft zu verbinden. Frei kann ein Individuum für Hegel nur dann sein, wenn es die Vernünftigkeit der Regeln seiner Gemeinschaft einsieht, akzeptiert und danach lebt, sich somit als Teil eines größeren zu wollenden Ganzen begreift, mit dessen Bestimmungen es übereinstimmt. Diese Zusammenhänge müssen bei der Kritik an den Hegelschen gesellschaftsphilosophischen Ausführungen berücksichtigt werden.
Auch Hegel geht nicht hinter diejenigen Freiheitsrechte zurück, die er innerhalb der Rechtsphilosophie unter dem Titel Abstraktes Recht abhandelt. Ausgangspunkt ist dabei der Gedanke, den Menschen als rechtsfähige Person aufzufassen und von ihm zu verlangen: »Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.« (§ 36). Auf dieser Grundlage läßt sich das Recht der Person auf Eigentum entwickeln und wird ihr die Fähigkeit zugestanden, mit anderen Personen Verträge über Eigentum oder berufliche Fertigkeiten abzuschließen. Eigentums- und Vertragsrecht werden deshalb auch in der Rechtspflege unter besonderen Schutz der allgemeinen Macht gestellt.
Die Reflexion, die formelle Allgemeinheit und Einheit des
Selbstbewußtseins, ist die abstrakte Gewißheit des Willens
von seiner Freiheit, aber sie ist noch nicht die Wahrheit derselben,
weil sie noch nicht sich selbst zum Inhalte und Zwecke hat, die subjektive
Seite also noch ein anderes ist als die gegenständliche; der Inhalt dieser
Selbstbestimmung bleibt deswegen auch schlechthin nur ein Endliches. Die
Willkür ist, statt der Wille in seiner Wahrheit zu sein, vielmehr der
Wille als der Widerspruch. (§ 15 Anm.)
Aber gerade diese
Willkür bestimmt für Hegel die Befriedigung der Bedürfnisse in
dieser rein formellen Allgemeinheit, der freien Marktwirtschaft.
Der Wille ist also um dieses Inhalts willen nicht frei, obgleich er
die Seite der Unendlichkeit formell an sich hat; ihm entspricht keiner dieser
Inhalte: in keinem hat er wahrhaft sich selbst. In der Willkür ist das
enthalten, daß der Inhalt nicht durch die Natur meines Willens bestimmt
ist, der meinige zu sein, sondern durch Zufälligkeit; ich bin also
ebenso abhängig von diesem Inhalt, und dies ist der Widerspruch, der in
der Willkür liegt. Der gewöhnliche Mensch glaubt, frei zu sein, wenn
ihm willkürlich zu handeln erlaubt ist, aber gerade in der Willkür
liegt, daß er nicht frei ist. (§ 15 Anm.)
Daraus folgt, daß für Hegel die bürgerliche Gesellschaft nicht dann zur wirklichen Freiheit führen kann, wenn sie lediglich dazu dient, die willkürlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Befriedigung rein willkürlicher Bedürfnisse hinterläßt nicht nur subjektiv ein Gefühl von Leere, sondern hat auch objektiv starke gesamtgesellschaftliche Widersprüche zur Folge. Dies liegt zum Teil auch daran, daß die Bedürfnisse des Menschen keinen abgeschlossenen Bereich beinhalten, sondern »der Mensch erweitert durch seine Vorstellungen und Reflexionen seine Begierden, die kein beschlossener Kreis wie der Instinkt des Tieres sind, und führt sie in das schlecht Unendliche.« (§ 185 Zus.). So ist die Befriedigung möglichst vieler besonderer Bedürfnisse für Hegel kein Wert-an-sich, denn er bedeutet für ihn nicht die Realisierung konkreter Freiheit. Da Freiheit in seinem Sinne nie getrennt von der Gesellschaft, d.h. ihren Sitten, Anschauungen, Überzeugungen existieren kann, muß das Individuum auch in bezug auf seine Bedürfnisse die Möglichkeit haben, sie als Ausdruck der Übereinstimmung von sich und der Gesellschaft, sie als sittlich, zu erfahren. Erst dann hat die Freiheit auch ihren Inhalt, und das Individuum fühlt sich wirklich befriedigt, da seine Handlung nicht nur formelle Freiheit voraussetzt, sondern auch zur Freiheit im Hegelschen Sinne führt.
Es geht Hegel also nicht darum, die Befriedigung der subjektiven Bedürfnisse zu verbieten, bzw. staatlich geplant festzulegen, sondern diese subjektiven Bedürfnisse aufzuheben, sie zu versittlichen. Dies bedeutet einerseits, daß es weiterhin dem Markt überlassen werden muß, die Befriedigung der versittlichten Bedürfnisse zu organisieren - da er dazu am besten geeignet ist -, andererseits muß dem Individuum ein Raum gegeben werden, in dem es die Möglichkeit hat, seine subjektiven Bedürfnisse und Interessen mit der Allgemeinheit zu vermitteln. In diesem Verständnis werden die Marktgesetze als solche nicht beeinflußt, jedoch dienen sie dann nicht mehr der Befriedigung willkürlicher, sondern sittlicher Interessen.
Hier wie da wendet sich Hegel dezidiert gegen solche individuellen
Beteiligungsmöglichkeiten, denn »diese atomistische, abstrakte
Ansicht verschwindet schon in der Familie wie in der bürgerlichen
Gesellschaft, wo der Einzelne nur als Mitglied eines Allgemeinen zur
Erscheinung kommt.« (§ 303 Anm.). In der Tat hat eine
repräsentative Demokratie nicht zur Folge, daß der Einzelne an
konkreten Entscheidungen beteiligt ist, sondern lediglich bestimmte Parteien,
Personen oder Regierungsprogramme bestimmen kann. Für Hegel muß sich
dagegen die Delegierung von Interessensvertretern wirklich aus solchen Gruppen
ergeben, die aufgrund ihrer eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Situierung die gleichen Interessen haben. Als Ausgleich für die fehlende
Mitbestimmung bei Wahlen sieht Hegel die Artikulationsmöglichkeiten des
Volkes in Form der öffentlichen Meinung.[23] Hegel wendet sich somit gegen die Trennung von Staat und
Gesellschaft durch das allgemeine Wahlrecht, indem er feststellt:
Die Vorstellung, welche die in jenen Kreisen schon vorhandenen
Gemeinwesen, wo sie ins Politische, d.i. in den Standpunkt der höchsten
konkreten Allgemeinheit eintreten, wieder in eine Menge von Individuen
auflöst, hält eben damit das bürgerliche und das politische
Leben voneinander getrennt und stellt dieses sozusagen in die Luft, da seine
Basis nur die abstrakte Einzelheit der Willkür und Meinung, somit das
Zufällige, nicht eine an und für sich feste und
berechtigte Grundlage sein würde. (§ 303 Anm.).
Wie sich im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte jedoch herausgestellt hat, haben sich die atomistischen und individualistischen Tendenzen durchgesetzt, - ohne daß die von Hegel aufgezeigten Effekte vermieden worden wären. Trotzdem scheinen sich nirgendwo Bestrebungen aufzutun, die das allgemeine Wahlrecht als den Ausdruck formeller Freiheit und Gleichberechtigung aufheben wollen. Ganz im Gegenteil, gerade die Gleichberechtigung im Politischen hatte immer auch die Intention, gesellschaftliche Unterschiede abzubauen und hat daher die Individualisierungs- und Atomisierungstendenzen mitbeschleunigt. Die moderne Gesellschaft ist für Hegel jedoch ein zu komplexes Phänomen, als daß sich der Einzelne mit dieser als Ganzer identifizieren könnte. Das Individuum muß sich daher auf eine bestimmte Sphäre dieser Gesellschaft beschränken, damit es überhaupt in der Lage sein kann, Freiheit als Vermittlung von Besonderheit und Allgemeinheit zu erfahren. Diese Sphären bezeichnet Hegel als die Stände, in denen sich sämtliche gesellschaftlichen und politischen Prozesse bündeln.
An dieser Stelle soll nicht erörtert werden, wie Hegel das Problem der Zugehörigkeit zu einem gesellschaftlichen Bereich löst,[24] sondern es erscheint sinnvoll der Frage nachzugehen, ob diese Aufgliederung der Gesellschaft sich mit heutigen Gesellschaftsvorstellungen vereinbaren läßt.
Zusammengenommen kann man sagen, daß sich das Hegelsche Konzept von Ständen, mit eigenen Lebensbereichen und Rechtsformen, in der modernen Gesellschaft nicht durchgesetzt hat. Es zeigt sich zwar, daß es innerhalb der Gesellschaft Bereiche mit stark von einander abweichenden Mentalitäten gibt, die auch Auswirkungen auf den individuellen Lebensstil haben, jedoch gerade nicht nach ihrem eigenen Recht behandelt werden wollen, sondern eher ihre besondere Auffassung auf politischem Wege in der gesamten Gesellschaft durchsetzen wollen. Ebenfalls scheint es kein Moment zu geben - im Vergleich zur Arbeit, - das in der Lage wäre, unterschiedliche Geisteshaltungen so zu fokussieren, daß sich daraus eindeutig identifizierbare Lebenswelten ableiten ließen.[29] Es ist daher ganz selbstverständlich, daß sich die unterschiedlichen Interessen in Parteien organisieren, die mit mehr oder weniger unterschiedlichen Programmen auf bestimmte Gesellschaftsgruppen abzielen, um für einen begrenzten Zeitraum ihre besonderen Interessen durchsetzen zu wollen. Auch darin zeigt sich ein Gegensatz zu Hegels Standesdenken, das gerade verhindern wollte, daß die gesetzgebende Macht durch das allgemeine Wahlrecht in die Hand einer Partei, d.h. eines Bewußtseins, kommt.[30]
Zu guter Letzt scheint es auch zwecklos, die Differenzierung der Gesellschaft nach Marxscher Manier auf die Klassen von Kapitalseignern und Lohnarbeitern zu reduzieren, besonders wenn intendiert wird, diesen Gegensatz als Ausdruck sozialer Ungleichheit prinzipiell aufzuheben.[31] Für Hegel schienen die Antagonismen der bürgerlichen Gesellschaft nicht grundsätzlich auf die Unvereinbarkeit der beiden Faktoren Arbeit und Kapital zurückzuführen zu sein, da er beide in einem Stand zusammenfaßte und durch die Institution der Korporation miteinander vermittelte. An dieser Stelle läßt sich fragen, ob Arbeit und Kapital tatsächlich als Ausdrücke eines Standes betrachtet werden können, oder ob darin nicht Widersprüche enthalten sind, die sich nicht ohne weiteres in bestimmte Organisationsformen aufheben lassen, da sie die Grundlagen des gesamten Systems sprengen würden.
Begriffe wie Arbeitskampf, -markt und -vertrag machen deutlich, daß auch heute dieser Widerspruch sich nur einzeln und immer wieder neu aufheben läßt. Nicht umsonst hat sich Marx als Nachfolger Hegels und dessen Kritiker gerade mit dem Arbeits- und Kapitalbegriff auseinandergesetzt, wobei er auf wichtige Motive zurückgreifen konnte, auf die im folgenden eingegangen werden soll.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich die enge Verbindung von Stand und Arbeit, denn für Hegel sind die Stände Ausdruck von »besonderen Systemen der Bedürfnisse, ihrer Mittel und Arbeiten, der Arten und Weisen der Befriedigung und der theoretischen und praktischen Bildung« (§ 201). So glaubt Hegel die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft, die sich aufgrund der Arbeitsteilung ergeben, auf diese Weise durch die unterschiedlichen Formen des Bewußtseins einteilen zu können und sie als Grundlage der Standesdifferenzierung zu nehmen. Bestimmte Tätigkeiten sind daher Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung, und es ist für Hegel nicht wünschenswert, einen Beruf ohne die entsprechende Geisteshaltung auszuüben.
Für den ersten Stand setzt Hegel den Zustand der Unmittelbarkeit, eines gewissen Zutrauens in die Freigebigkeit der Natur und Gottes voraus. Aus diesem Grund kritisiert er, wenn »die Ökonomie auch auf reflektierende Weise, wie eine Fabrik, betrieben (wird) und (...) dann einen ihrer Natürlichkeit widerstrebenden Charakter des zweiten Standes an(nimmt).« (§ 203 Zus.). Das gleiche gilt auch für die anderen Stände, so daß es z.B. schädlich wäre, in den allgemeinen Stand aufgrund eines selbstsüchtigen Strebens nach persönlicher Bereicherung zu treten, ohne eine Bewußtsein für die Belange der Allgemeinheit zu besitzen (vgl. §§ 291-297).[32] Für den zweiten Stand setzt Hegel insbesondere die Gedanken der Freiheit, Unabhängigkeit und des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten voraus, was vor allem einen rechten Verstandesgebrauch erfordert (vgl. §§ 203 Zus., 204).
Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Hegelschen Überlegungen besteht nun darin, daß sich Wirtschaftssysteme nicht ohne weiteres von einer Kultur und Mentalität auf die andere übertragen lassen.[33] Ebenfalls wird deutlich, daß durch die Konkurrenz von Wirtschaftssystemen - wobei sich einige erfolgreicher als andere erweisen und damit Krisen produzieren -, auch die dahinterstehenden Denkweisen und politischen Systeme in Frage gestellt werden. Dies zeigt sich z.Zt. besonders deutlich an der Umstellung der Wirtschaft von zentraler Planwirtschaft auf freie Marktwirtschaft in den ehemals sozialistischen Ländern Osteuropas.
Erstaunlicherweise hat Hegel nicht die Problematik analysiert, inwieweit die Aufteilung der Wirtschaftszweige tatsächlich den Bewußtseinsstand der Bevölkerung widerspiegelt. Gerade zu seiner Zeit begannen die großen demographischen und technologischen Umwälzungen, die dazu führten, daß der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft von damals 80% auf heute 3-4% gesunken ist. Dies kann nicht allein eine Frage des Bewußtseinswandels sein, sondern insbesondere im 19. Jahrhundert wurden durch das starke Bevölkerungswachstum und die beginnende Mechanisierung der Landwirtschaft viele Arbeitskräfte frei.[34] Letzten Endes entwickelten sich m.E. daraus die Widersprüche, die stärker waren als im mittelalterlichen Feudalsystem, da sich im letzteren der Grundherr wenigstens bestimmten Pflichten gegenübergestellt sah. Von daher läßt sich Hegels Standpunkt kritisieren, daß in der bürgerlichen Gesellschaft wirklich die Aufteilung der Stände, d.h. die Arbeit und jegliche wirtschaftliche Betätigung, "durch die Willkür vermittelt geschehe", und als abstrakte Freiheit bezeichnet werden kann (§ 206 Anm.). Dies würde voraussetzen, daß es tatsächlich in der Gesellschaft jeder Person möglich wäre, in genau den Stand einzutreten, der ihrem Bewußtsein entspräche, bzw. daß sich das System der Bedürfnisse so gestaltete, daß dies möglich würde.
Es gehört, wie in Kap. 4.1.1 erwähnt, zu den Kerngedanken der Hegelschen Philosophie, daß sich das Selbstbewußtsein des Geistes langsam seinen Weg in der Geschichte bahnt und sich Anerkennung verschafft; ein Prozeß, der Jahrhunderte bis Jahrtausende in Anspruch nehmen kann.[35] Gerade die Dauer dieses Prozesses macht es schwierig, aus einer augenblicklichen Situation bestimmte Entwicklungen zu deuten und voraus zu bestimmen. Für einen Kritiker Hegels wie Karl Marx war die Diskrepanz zwischen Sein und Bewußtsein so groß, daß er deren Beziehung einfach auf den Kopf stellte.[36] Es war und ist in der Tat schwer möglich, eine stupide Fließbandarbeit als vergleichbaren Ausdruck bürgerlicher Freiheiten aufzufassen wie die Gründung und Leitung eines eigenen Unternehmens. Dennoch faßt Hegel beide Arbeiten im Gewerbestand zusammen, obwohl gerade im 19. Jahrhundert eine Vielzahl von Menschen aufgrund wirtschaftlicher Nöte vom Land in die Industriereviere drängte und dort eine standesfremde Arbeit annahm. In diesem Falle konnte die Arbeit sicherlich nicht als Ausdruck eines bestimmten Bewußtseins gesehen werden und führte zu den bekannten Antagonismen.[37]
Überträgt man diese Bedingungen auf die heutige Situation in den westlichen Industrieländern, so läßt sich eher das Gegenteil konstatieren. Die Mehrheit der Jugendlichen hat einen höheren Anspruch an Selbstverwirklichung als sie in der Regel von der Arbeit ermöglicht werden kann, auch wenn es häufig erwartet wird. Obwohl die Zahl der Tätigkeiten, die Kreativität, Engagement - auch in Verbindung mit einer akademischen Ausbildung -, erfordern, sicherlich zugenommen hat, steht die tatsächliche Berufstätigkeit häufig hinter den gesteckten Erwartungen und dem eigenen Bewußtsein von Selbstverwirklichung zurück, so daß sie an Wert verliert und lediglich zu einer Möglichkeit wird, zum Ausdruck der abstrakten Freiheit, dem Geld, zu gelangen. Es wächst daher im selben Maße die Bedeutung der außerberuflichen Aktivitäten, die das eigentliche Leben darstellen. Auch in diesem Falle ist m.E. nicht zu erwarten, daß sich diese Lücke schließen läßt, d.h. die Wirtschaft so viele kreative Arbeitsplätze bietet, daß die Arbeit dem Bewußtsein aller Individuen gerecht wird. Wenn jedoch der Aspekt der Selbstverwirklichung eine zunehmend größere Bedeutung erhält, ist diese Auffassung der eigenen Tätigkeit sicherlich mehr im Sinne Hegels, auch wenn solche Tätigkeiten kaum in der eigentlichen industriellen Produktion zu finden sind.
Eine neue Problematik wird auch in bezug auf das wachsende ökologische Bewußtsein der Bevölkerung sichtbar, da ebenfalls das Angebot an ökologisch orientierten Arbeits- und Lebensbereichen der Nachfrage hinterherhinkt.
Insofern ist es schwierig, Hegels Konzept von der Kongruenz von Arbeits- und Lebenswelten als Ausdruck eines bestimmten Bewußtseins als eine Ist-Bestimmung zu übernehmen, da selbst die formelle Freiheit, seinen eigenen Stand aus Überzeugung zu wählen und darin zu verharren, vielfach nicht gegeben ist.
Aus diesem Grund stößt auch Hegels Konzept von der Bindung der politischen Willensbildung an die Arbeitsbereiche auch hier an seine Grenzen, da sich Personen, die ihre Arbeit getrennt vom eigentlichen Bewußtsein und Leben betrachten, auf diese Weise nicht vertreten fühlen.[38]
Aus den genannten Gründen ist Hegels Vorstellung, die Arbeit als Ort der gesellschaftlichen Differenzierung zu sehen, eine Soll-Bestimmung, die, wenn sie die von Hegel genannten Bedingungen erfüllte, sicherlich eine vernünftige Gliederung der Gesellschaft darstellte. Die Dynamik der modernen Gesellschaften, die auch einen schnellen Wandel der geistigen Strömungen bewirkt, steht diesem statischen Modell entgegen. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen soll nun die Hegelsche Vorstellung, die Arbeit als Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft zu sehen, betrachtet werde.
Konkret geht es dabei um die Verwirklichung zweier Aspekte: der Subsistenz und der Anerkennung.39 Beide lassen sich nur auf gesellschaftlichem Wege erzielen, da zum einen jeder auf die Produktion der anderen angewiesen ist, zum anderen Anerkennung immer ein Prozeß ist, der zwischen mehreren Personen stattfinden muß.
Für Hegel lassen sich beide Aspekte zunächst dadurch realisieren, indem der Einzelne wirtschaftlich tätig wird, d.h. zu einem möglichst großen allgemeinen Vermögen beiträgt.
Was die Subsistenz betrifft, so ist zur Gewährleistung derselben in vielen Fällen die eigene Geschicklichkeit ausreichend, sei es in Verbindung mit oder ohne Kapital (vgl. § 200). Da aufgrund der Arbeitsteilung und der Handels- und Gewerbefreiheit das allgemeine Vermögen stark zugenommen hat, kann dadurch auch die Subsistenz vieler besser garantiert werden (vgl. § 243).
In bezug auf die Anerkennung ergeben sich jedoch mehr Probleme: Indem jeder für sich aus selbstsüchtigem Zweck produziert, trägt er dadurch zwar zur Steigerung der Produktion bei, jedoch ist die Allgemeinheit, für die er produziert, lediglich die abstrakte des Marktes. Der Markt kann aufgrund seiner Abstraktheit allerdings nicht für die Anerkennung des Einzelnen sorgen. Dies ist nur möglich, wenn der Einzelne auch konkret für das Wohl eines Bereiches tätig ist, also zu einem konkreten Vermögen beiträgt, das die Subsistenz seines Bereiches garantiert. Für Hegel ist auf eine andere Weise keine gesellschaftliche Anerkennung möglich, z.B. durch das Bezeigen von Statussymbolen (§ 256 Anm.).
Anerkennung und Subsistenz hängen daher in der Weise zusammen, daß Arbeit als Subsistenzsicherung nur dann zur Anerkennung führt, wenn sie die Subsistenzsicherung eines konkreten Bereichs auch erkennbar zum Ziel hat. Geschieht dies nicht, besitzt die bürgerliche Gesellschaft für Hegel die Tendenz, daß für einen Teil der Bevölkerung, obwohl er arbeitet, keine ausreichenden Subsistenzmittel zur Verfügung gestellt werden können (vgl. § 243). Dies ist ein eklatanter Bruch mit dem Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit von Individuum und Gesellschaft: Da der Einsatz des Einzelnen für die Gesellschaft darin besteht, daß er arbeitet, hat er auch einen Anspruch darauf, daß die Gesellschaft dieses Engagement dadurch honoriert, daß es ihm seine Subsistenz sichert. Andernfalls trägt er zum gesellschaftlichen Wohl und Reichtum bei, ohne daß die Gesellschaft ihrer Verpflichtung, auch zum Wohl des Einzelnen beizutragen, nachkommt. Das gegenseitige Vertrauensverhältnis, d.h. die Vermittlung, ist in diesem Falle gestört und der Einzelne empört sich gegen die Gesellschaft, die den vermittelnden Charakter der Arbeit verkennt (vgl. § 241-244).
Werden die beiden Aufgaben der Arbeit, Subsistenz und Anerkennung zu sichern, nicht erfüllt, kann die Arbeit auch nicht als Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft dienen. Aus diesem Grund ist es wichtig, daß die Arbeit auf eine Weise organisiert ist, die Subsistenz und Anerkennung garantieren. Für Hegel ist diese Vermittlung im ersten und dritten Stand von selbst gegeben: im ersten unmittelbar, im dritten durch seinen Zweck (vgl. § 250).
Für den zweiten Stand ist diese Vermittlung jedoch dann nicht gegeben, wenn die einzelnen Mitglieder dieses Standes nicht innerhalb desselben in einer besonderen gemeinschaftlichen Form eingebunden sind. Hegel versteht darunter eine Korporation, d.h. eine Vereinigung, die das Wohl aller Mitglieder als Zweck hat und in der jedes Mitglied durch seine rechtschaffene Arbeit für diese seine Anerkennung und Ehre findet. Die Korporation übernimmt somit für den Einzelnen die Rolle der griechischen Polis. Er setzt sich für sie ein, und sie garantiert ihm im Gegenzug seine Subsistenz und Anerkennung. Sie besitzt eine Konkretion und Übersichtlichkeit, eine Art unsichtbare Stadtmauer, und sorgt auf diese Weise dafür, daß der Einzelne sich nicht atomisiert in der Massengesellschaft verliert.
Im allgemeinen besitzt die Arbeit in der heutigen Zeit nicht prinzipiell die Eigenschaft, Individuum und Gesellschaft konkret miteinander zu vermitteln. Zwar wird anerkannt, daß die Arbeit eine wichtige soziale Integrationskraft besitzt, jedoch geht Hegels Einschätzung in wichtigen Punkten über heutige Verhältnisse hinaus.
Deutlich wird dies z.B. daran, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer scheinbar zwei Gruppen sind, die entgegengesetzte Interessen haben.[40] Wenn Arbeit eine Vermittlungsfunktion ausüben soll, darf sie nicht als reines Mittel zum Zweck gesehen werden, weder von Seiten der Arbeitgeber als reiner Produktionsfaktor, noch seitens der Arbeitnehmer als bloßer Job oder zufällige Beschäftigung.[41] Das heißt, weder Unternehmer- noch Arbeitnehmerarbeit darf rein als selbstsüchtiges Gewinnstreben betrachtet werden, so sie zu sozialer Vermittlung und Anerkennung führen soll. Da für Hegel jedoch nur eine sozial vermittelte Person als frei bezeichnet werden kann, ist eine soziale Auffassung und Sicherung der Arbeit notwendig zur Vermittlung konkreter Freiheit. Der fehlende Vermittlungsgedanke hat daher zur Folge, daß zum einen die Subsistenzsicherung auf eine vertragliche Vereinbarung reduziert und Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen wird, zum anderen das gesellschaftliche Integrationsbedürfnis auf die Privatsphäre verlagert und damit kaum politisch zu vermitteln ist.[42] In Hegels Konzept der Arbeit ist also enthalten, daß der Einzelne darin gesellschaftliche und politische Vermittlung findet, die Sphäre der Arbeit der antiken Polis entspricht. In seinem Verhältnis zum Staat ist der Einzelne daher kein atomisiertes Individuum, sondern Teil eines Bereichs, der durch die Arbeit bestimmt wird.[43] Warum diese Vermittlung durch die Arbeit scheinbar nicht realisiert werden kann, soll im folgenden Kapitel näher untersucht werden.
Andererseits bedurfte es dennoch einer langen Phase der Auseinandersetzung und der Einsicht in die mitunter verhängnisvollen Wirkungen einer ungezügelten Marktwirtschaft, bis z.B. in der Bundesrepublik Deutschland das System einer sozial temperierten Marktwirtschaft installiert wurde, das es zur Aufgabe des Staates macht, Vorsorge gegen Umstände zu treffen, die die Subsistenz der Individuen gefährden könnten.
Daß dies auch auf andere Weise möglich ist, zeigen die verschiedenen Arten der Sozialversicherungen, deren Einnahmen ein gemeinsames Vermögen darstellen, auf dessen Unterstützung der Versicherte im Bedarfsfall einen Anspruch besitzt. Eine ähnliche Konstruktion besitzt auch die Hegelsche Korporation: Der Einzelne stellt seine besondere Geschicklichkeit zur Verfügung und erhält die Sicherung seiner Subsistenz im ganzen Umfang (§ 252 Anm.). Auch diese Subsistenzsicherung setzt ein allgemeines Vermögen voraus, aus dem der Einzelne sein standesgemäßes Auskommen erhält. Natürlich ist diese Art der Solidargemeinschaft um vieles problematischer als die einer Sozialversicherung, welche auf einer relativ unkomplizierten Beitragszahlung basiert.
Für Hegel war der Antagonismus von Ausschweifung und Elend weniger die Folge bestimmter Kapitalverwertungsgesetze oder des Privatbesitzes an Produktionsmitteln, sondern ein Ergebnis falsch verstandener Freiheit und fehlender Aufhebung des selbstsüchtigen Zwecks im Allgemeinen. Das heißt, der Reichtum der einzelnen Gewerbetreibenden ist sozialpflichtig (§ 254 Anm.), weil er erst dann in der Lage ist, dem Individuum Anerkennung zu verschaffen. Dies setzt jedoch bei den Mitgliedern der Korporation das Bewußtsein voraus, daß dies kein Zeichen mildtätigen Handelns, sondern ein Ausdruck vernünftiger, auf der Basis gegenseitiger Rechten und Pflichten beruhender Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft ist. Die Höhe des privaten Vermögens soll daher nicht zur Aufspaltung der Gesellschaft führen, so daß der Einzelne durch zu große Reichtümer oder zu geringes Einkommen von der Allgemeinheit isoliert wird, sondern dem Wohl der Allgemeinheit dienen und allen ein standesgemäßes Einkommen garantieren.
Für Hegel ist daher eine Organisation der Wirtschaft erforderlich, die allen ihren Mitgliedern ihre Subsistenz zu sichern gewillt ist und die nicht darauf bedacht ist, die Löhne der beteiligten Arbeiter als Kostenfaktor möglichst gering zu halten. Das Bewußtsein von der Arbeit als Ort der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft ist jedoch Voraussetzung dafür, daß die Arbeit nicht als Ware betrachtet wird. Arbeit als das gesellschaftliche Engagement der Mehrzahl der Personen hat somit ihren sozialen und politischen Preis, der so hoch ist, daß er den davon abhängigen Familien ein angemessenes Leben in dieser Gesellschaft ermöglichen kann. Das heißt, damit der Einzelne in der Arbeit seinen Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit bewußt leistet, muß diese Gemeinschaft auch diese Tätigkeit als solche honorieren. Es kann darum nicht von einem wirklichen Gegensatz von Arbeit und Kapital gesprochen werden, wenn es bei der Zusammenführung beider Produktionsfaktoren darum geht, mit Hilfe der Produktion das Wohl aller am Produktionsprozeß Beteiligten im erwähnten Sinne zu erzielen. Das Kapital selbst wird somit bei Hegel nicht als eine Größe betrachtet, die selbständig nach ihren eigenen Gesetzen des Wirtschaftsgeschehen bestimmt und sich selbst zu vermehren sucht, so daß die Arbeit daneben ihre Bedeutung verliert.
Innerhalb seines eigenen Konzepts läßt sich Hegel dennoch dahingehend befragen, warum er das Zur-Verfügung-Stellen von Kapital nicht in derselben Weise als gesellschaftliches Engagement betrachtete wie das Einbringen seiner Arbeitskraft. Schließlich stellen Konsumverzicht und Einbringen dieses Kapitals ebenfalls einen gesellschaftlichen Dienst dar, der es ermöglicht, die Befriedigung der Bedürfnisse aller zu erreichen. Das heißt, wenn die gesellschaftliche Betätigung des Individuums darin besteht, zur Produktion von Gütern und damit zur Bedürfnisbefriedigung aller beizutragen, dürfte darunter nicht einseitig die Arbeit, sondern müßte auch gleichberechtigt das Zur-Verfügung-Stellen von Kapital gesehen werden.[45] Schließlich ist es auch das Kapital, das zunehmend wichtiger für die Produktion wird, da durch die »Abstraktheit des Produzierens« die Arbeit immer mehr durch Maschinen ersetzt werden kann (§ 198). Auch wenn das Einbringen von Kapital auf dem Kapitalmarkt abstrakter als jedwede Arbeit ist, steht für Hegel auch dahinter eine Person, die auf diese Weise ihre Interessen befriedigen will und auf der anderen Seite in eine konkrete Allgemeinheit eingebunden werden soll. Auch Kapital kann daher ein Mittel sein, um den Kapitalseigner seine Subsistenz und Anerkennung zu sichern.
Zwar wehrte sich Hegel schon dagegen, in diesem Bereich moralische Wertungen vorzunehmen,[46] jedoch läßt sich durch die Anonymität moderner Finanzspekulationen, die lediglich an einer größtmöglichen Rendite interessiert sind, dieses kombinierte Ziel m.E. kaum erreichen.[47] Insofern weder Arbeit noch Kapital von den Aktanten der Wirtschaft in ihren sozialen Dimension begriffen werden, scheinen sie sich als Gegensatz herauszustellen. Im Hegelschen Konzept kann dagegen weder von einem abstrakten Arbeits- noch Kapitalmarkt gesprochen werden.
Die abstrakte Verwertung von Kapital kann daher nie die Funktionen einnehmen, die der Arbeit bei Hegel zukommen, sowohl in individueller wie in gesellschaftlicher Hinsicht. In diesem Sinne stellt der Kapitalbesitz zwar eine Art der Möglichkeiten dar, am allgemeinen Vermögen teilzunehmen, andererseits ist er allein zu abstrakt, um innerhalb der Gesellschaft zu konkreter Freiheit zu führen. Auch ein unbegrenzter Kapitalbesitz kann nur abstrakte Freiheit garantieren, die darin besteht, unbegrenzt konsumieren zu können, jedoch sieht Hegel darin keine Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft gegeben.[48] Ebenfalls problematisch ist es, wenn zugunsten des Produktionsfaktors Kapital versucht wird, den Faktor Arbeit möglichst zu ersetzen. Für Hegel ist die Produktion an sich, d.h. unbegrenztes Wirtschaftswachstum, kein unbedingtes Ziel wirtschaftlichen Handels, da die menschlichen Bedürfnisse ohnehin unbegrenzt sind und somit häufig fragwürdige Formen annehmen (vgl. §§ 191, 195)
Dennoch läßt sich die Kapitalisierung der Wirtschaft, die es ermöglicht, effektiver und qualitativ hochwertiger zu produzieren, aus nationalen und internationalen Wettbewerbsgründen kaum umgehen. Der Faktor Arbeit wird daher immer weiter aus der Produktion verdrängt. Daß es sich die Gesellschaft dennoch auf Dauer nicht leisten kann, ihre Mitglieder nicht gesellschaftlich zu beschäftigen und zu integrieren, haben zahlreiche Erfahrungen im Laufe der Geschichte erwiesen.[49] Wie dies erreicht werden kann und welche Rolle der Staat dabei spielen soll, wird im folgenden betrachtet werden.
Eine grundlegender Gedanke besteht dabei darin, daß die Gesellschaft sich grundsätzlich ausdifferenzieren muß, der Staat hingegen Voraussetzung dafür ist, daß diese Differenzierung erfolgen kann. Andererseits ist er auch notwendig, um diese Differenzierung wieder aufzuheben und die verschiedenen Bereiche miteinander zu verbinden. Wenn unter der bürgerlichen Gesellschaft das Nebeneinander der verschiedenen Bereiche verstanden wird, so ist der Staat deren übergeordnetes Allgemeines. Entgegen vieler liberaler Auffassungen ist für Hegel somit ein Staatsverständnis erforderlich, das über das des Not- und Verstandesstaates hinausgeht. Auch in diesem Falle gilt wieder das Prinzip, daß das Allgemeine nicht nur Mittel, sondern auch Zweck sein muß. Der Staat selbst ist »absoluter, unbewegter Selbstzweck«, so daß es für die Einzelnen »höchste Pflicht (...) ist, Mitglieder des Staates zu sein.« (§ 258).
Unter Not- und Verstandesstaat versteht Hegel somit einen Staat, der die Differenzierung der Gesellschaft garantiert - von den Ständen über die Familie zum Individuum.[50] Dies erfolgt dadurch, daß er die Anerkennung der persönlichen Freiheitsrechte, das abstrakte Recht, überwacht und gewährleistet. Der Staat ist in diesem Fall lediglich ein Instrument der Trennung (Entzweiung), jedoch muß er auch genau das Gegenteil davon sein. Wenn die Gesellschaft sich in die verschiedenen Stände untergliedert, muß es auch einen Ort geben, an dem die unterschiedlichen Sphären wieder miteinander vermittelt werden, wo den Einzelnen bewußt wird, daß sie doch ein Ganzes bilden, eine konkrete Allgemeinheit.
Was die Vermittlung des Einzelnen mit der Allgemeinheit betrifft, so erfolgt diese nicht unmittelbar zwischen Individuum und Staat. Diese Vermittlung geschieht über die Institutionen des Staates und der Gesellschaft, so daß die staatlichen Institutionen selbst dazu in der Lage sein müssen, andererseits der Staat Maßnahmen treffen sollte, die gesellschaftliche Vermittlung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.[51]
Der Einzelne ist daher gleichzeitig Mitglied der Gesellschaft (bourgeois) und des Staates (citoyen). Er handelt daher immer unter Berücksichtigung beider Aspekte: Als Mitglied der Gesellschaft liegt die Betonung auf seinen besonderen Interessen, der Befriedigung seiner Bedürfnisse; ebf. kann das Subjekt sich seinen Platz dort selbst bestimmen. Dennoch muß es einen Begriff vom Ganzen geben, der mehr ist als die Summe seiner Teile.
Gerade in bezug auf das Recht wird deutlich, daß die Gesellschaft als Ganze kein "Recht" besitzt: Ihre einzelnen Mitglieder besitzen lediglich die bürgerlichen Freiheitsrechte, wogegen der Staat »das höchste Recht gegen die Einzelnen hat« (§ 258).
Der Hegelsche Staat besitzt somit im Vergleich zur bürgerlichen Gesellschaft ein eigenes Recht, während der Not- und Verstandesstaat sich darauf beschränkt, die Freiheitsrechte der einzelnen Bürger gegeneinander zu garantieren. Jedoch nur dann, wenn eine Gemeinschaft auch ein eigenes Recht besitzt, kann sich das Individuum mit dieser identifizieren und durch innere Zustimmung zu diesem Recht zu konkreter Freiheit gelangen, »denn nur das Gemeinsame existiert in der bürgerlichen Gesellschaft, was gesetzlich konstituiert und anerkannt ist« (§ 253 Anm.).
Für Hegel dient der Staat wie erwähnt nicht dazu, eine nachträgliche Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft zu ermöglichen. Von daher besitzen die einzelnen Bereiche der Gesellschaft ebenfalls ihr begrenztes Eigenrecht (vgl. § 252 und Anm.). Der Staat hingegen besitzt sein Recht gegenüber allen Sphären der Gesellschaft. Dadurch wird er zum »an und für sich allgemeinen Zwecke« (§ 256), in dem das Individuum aufgehen soll.
Die Gesellschaft an sich besitzt keinen Willen, der über die Gewährleistung der formellen Freiheit hinausgeht. Die bürgerliche Gesellschaft will, daß der Einzelne darin die möglichst umfassende Freiheit besitzt, für seinen selbstsüchtigen Zweck sorgen zu können. Dieser Wille ist daher ohne konkreten gemeinsamen Inhalt. Der Staat, insofern er mehr als ein äußerer Staat ist, stellt jedoch einen allgemeinen Willen dar, und erst wenn der Einzelne sich in Übereinstimmung mit diesem weiß, kann man von substantieller Freiheit sprechen (vgl. § 257). Der Staat darf als »Wirklichkeit der sittlichen Idee« nicht willkürlich handeln, sondern muß sich an der Sitte und dem Selbstbewußtsein des Einzelnen orientieren (ebd.).
Entscheidend ist also, »daß sich das Gesetz der Vernunft und der besonderen Freiheit durchdringe und mein besonderer Zweck identisch mit dem Allgemeinen werde, sonst steht der Staat in der Luft.« (§ 265 Zus.). Der Staat will somit in erster Linie das Wohl seiner Bürger, während letztere wissen, daß dies nur durch die Existenz des Staates realisiert werden kann (§ 260).
Trotz dieser gegenseitigen Verschränkung von Allgemeinheit räumt eine derartige Staatsauffassung dem Staat eine große Machtfülle und Gestaltungsmöglichkeit ein, die es sicher zu verankern und zu kontrollieren gilt. Hegel versucht dies durch einen möglichst organischen Staatsaufbau zu erreichen, der nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen jeweils die Regierungsverantwortung überläßt, sondern auf dem monarchischen und ständischem Prinzip basiert. Hegel war sich der Gefahr bewußt, die eine schwache Demokratie und ein starker Staat beinhalten, da der allgemeine Wille mehr sein muß als eine bloße Mehrheitsentscheidung.[52] Das heißt, je größer die Machtfülle der Regierungsgewalt ist, desto stärker muß deren Kontrolle bzw. zeitl. Beschränkung (in Form ein Abberufungsmöglichkeit) sein. Andererseits besteht gerade durch eine starke Exekutive die Möglichkeit, Kontrollinstanzen zu manipulieren und auszuschalten, so daß z.B. in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund negativer Erfahrungen der Weimarer Republik die Exekutive stark an die Legislative geknüpft ist und ein bestimmter (nahezu) unverfügbarer Rahmen durch die Verfassung vorgegeben ist.
Hegels Vision der Identität von allgemeinem und besonderem Willen läßt sich für ihn somit nicht durch eine Demokratie, also einer mehr oder weniger direkten Einflußmöglichkeit des Einzelnen auf staatliche Entscheidungen, erzielen. Dieser Einfluß ist dem Einzelnen vielmehr nur als bereits gesellschaftlich vermitteltem möglich. Seine Interessen sind dabei klar umschrieben und offensichtlich. Es gibt keine "Volksvertreter", sondern Repräsentanten eines bestimmten Standes. Daß in der Ständeversammlung deutlich die Interessen einer bestimmten Körperschaft vertreten werden, ist selbstverständlich. Aus diesem Grund kann nicht darüber geklagt werden, daß die Wirtschaft Einfluß auf die Politik nimmt. Da durch die Arbeit Individuum und Gemeinschaft miteinander vermittelt sind, ist dies einerseits notwendig, andererseits sind die Interessen einer Korporation bereits versittlicht, da sie das allgemeine Wohl selbst zum Inhalt haben.
Die ständische Gesellschaft geht somit zum einen organisch in den Staat über, zum anderen besitzt sie mit dem Monarchen eine Spitze, die nicht mit einer Gruppe des Staates als besonderer vermittelt ist, sondern in gewissem Sinne alle Elemente der Differenzierung des Begriffs in sich enthält. Das Festhalten Hegels an der Monarchie war zu seiner Zeit sicherlich noch kein Anachronismus, auch wenn die Französische Revolution erste republikanische Ansätze wieder hervorgebracht hatte. Für Hegel war ein aufgeklärter Monarch die Verkörperung des Prinzips der Subjektivität, welche eine Versittlichung der Gesellschaft, d.h. die Aufhebung ihrer Antagonismen, durchsetzen konnte. Dabei ging es Hegel gerade nicht darum, daß der Monarch abgehoben auf seinem Thron sitzt und alle Entscheidungen einsam aus seiner eigenen Machtfülle heraus trifft, sondern daß er lediglich »"Ja" sagt und den Punkt auf das I setzt« (§ 280 Zus.). Das Prinzip der Subjektivität ist somit zu einem Paradoxon gesteigert, das ihm zwar die letzte Entscheidungsgewalt beläßt, andererseits »die Besonderheit des Charakters nicht das Bedeutende ist« (ebd.).
In diesem Sinne besteht die Unmittelbarkeit der Person des Monarchen darin, daß er durch die Geburt zu diesem Amt bestimmt ist, da es kein anderes erfindliches Kriterium gibt, das die Willkürlichkeit dieser Bestimmung zum Ausdruck brächte.
Das Allgemeine sollte selbstverständlich der Inhalt seiner Regierungstätigkeit sein, die durch »das letzte grundlose Selbst des Willens« bestimmt wird (§ 281). Hegel möchte durch diese Vereinigung der Momente der Idee verhindern, daß die Frage der Staatsgewalt zu einem Machtkampf der verschiedenen Faktionen führt (ebd.). Gerade weil die Regierungsgewalt das Prinzip der Subjektivität verkörpert, darf sie nicht einem bestimmten Teil der Gesellschaft zufallen.
An dieser gesamten Konzeption läßt sich kritisch anmerken, ob die Überführung der gesellschaftlichen Kräfte in den Staat dadurch in einer Weise gewährleistet werden kann, daß die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sich im Staat wiederfinden und miteinander vermittelt werden können. Besonders wichtig für Hegel ist die Voraussetzung, daß die Vertreter der Ständeversammlung als Repräsentanten einer bereits mit dem Allgemeinen vermittelten Körperschaft fungieren und die einzelnen Stände in verschiedene Kammern getrennt sind. Letztere Konstruktion ähnelt derjenigen, die den Einfluß der föderativen Elemente auf die Legislative in Form der Trennung von Bundesrat und Bundestag sichern soll und verhindert, daß grundsätzlich widerstrebende Interessen zu einer Macht- bzw. Mehrheitsfrage gerieren. Daß die Hegelsche Konzeption des Zwei-Kammer-Systems heute lediglich einen territorialen Aspekt besitzt, zeigt ein weiteres Mal, daß die gesellschaftliche Ausdifferenzierung politisch nicht institutionalisiert, sondern als Entweder-Oder Frage lösbar erscheint.
Gerade dadurch, daß die Regierungsgewalt zur Verwirklichung partikularer Interessen instrumentalisiert werden kann, ist es für die gesellschaftlichen Einzelinteressen um so wichtiger, die Regierungsgewalt zu besitzen, so daß die Frage um den Machterhalt bzw. -erwerb die eigentliche Sorge um das Wohl der Allgemeinheit zu verdrängen scheint. An dieser Stelle sollte daher der Frage nachgegangen werden, welche Aufgaben dem Staat in der Hegelschen Konzeption überhaupt in bezug auf die Gesellschaft zukommen, d.h. ob in seinem Verständnis auch die Frage der Regierungsgewalt von entscheidender Bedeutung ist.
Innerhalb eines Systems, wie es auch das Systems der Bedürfnisse letztlich darstellt, ist es nicht so, daß das Wohl des Einzelnen vollkommen von dessen zufälligen Lebensumständen abhängen darf. Dies liegt daran, »daß die Subsistenz und das Wohl des Einzelnen und sein rechtliches Dasein in die Subsistenz, das Wohl und Recht aller verflochten, darauf gegründet und nur in diesem Zusammenhange wirklich und gesichert ist.« (§ 183). Das bedeutet, daß ein auf der Allgemeinheit beruhendes System nur dann funktionieren kann, wenn alle seine Einzelmomente - in diesem Falle auch Einzelpersonen, - ihre Aufgabe erfüllen können. Aus diesem Grund muß die Gesamtheit auch um das Wohl aller ihrer Einzelmomente besorgt sein.
Im Gesamtzusammenhang dieser Bestimmungen lassen sich verschiedene Unterscheidungen treffen: Zum einen hat der Staat dafür zu sorgen, daß das System der Bedürfnisse als Gesamtes funktioniert; zum anderen hat er darauf zu achten, daß jeder Einzelne in dieses System integriert ist. Das heißt, wenn die Vermittlung der Bedürfnisse über den Markt, die Anerkennung und Subsistenzsicherung über die Arbeit erfolgt, muß es primär die Aufgabe des Staates sein, die Gesellschaft darin zu unterstützen, daß alle ihre Mitglieder Zugang zu Markt und Arbeit haben.
Obwohl die Verwirklichung der subjektiven Zwecke des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft auf dem Zugang zur formellen Allgemeinheit des Marktes und der industriellen Arbeit basieren, scheint es dennoch zahlreiche Tendenzen in der Gesellschaft zu geben, die eine staatliche Aufsicht über den Markt und eine Vorsorge vor gewissen Zufälligkeiten der Arbeitstätigkeit erforderlich machen. Konkret bedeutet dies für Hegel zunächst die Schaffung einer Infrastruktur, die den Austausch der Waren ermöglicht, d.h. den Zugang der Produzenten und Konsumenten zum Markt garantiert (§ 235).[54] Weiterhin ist für Hegel eine Art Marktregulierung und Produktkontrolle notwendig, die dafür sorgt, daß Angebot und Nachfrage sich annähernd decken und die angebotenen Waren bestimmten Qualitätsanforderungen genügen. Die Notwendigkeit solcher Steuerungsmaßnahmen wird vielfach bestritten, vor allem wenn sie politisch motiviert sind. Für Hegel stellen sie eher die Ausnahme als die Regel dar, da er sie nur dann anwenden möchte, wenn »das allgemeine Beste in Gefahr kommt« (§ 236 Zus.).
Auch bei temporären bzw. zyklischen Konjunktureinbrüchen sieht Hegel eine Intervention des Staates für erforderlich an, da die dadurch auftretenden Schwankungen für viele Gesellschaftsmitglieder erhebliche Folgen haben können. Hegel attestiert damit den einzelnen gesellschaftlichen Akteuren ein Manko, das darin besteht, daß sie häufig weder Einsicht noch Einfluß auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge haben, sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene (§ 236). Die Möglichkeit, sich ganz in seine eigenen Zwecke und Interessen zu vertiefen, bringt es oft mit sich, daß die komplexen Auswirkungen und Bedingungen des eigenen Tuns nicht erkannt, bzw. häufig nicht beeinflußt werden können; die durch die Arbeitsteilung begründete gegenseitige Abhängigkeit tut das ihrige noch hinzu.[55]
Der Staat muß daher nicht nur die abstrakten Freiheitsrechte als wirtschaftliche Rahmenbedingungen garantieren, sondern weitergehende ökonomische Voraussetzungen im Auge behalten, damit Produktion und Konsumtion im System der Bedürfnisse sich in einem harmonischen Gleichgewicht befinden. Hegel versteht darunter jedoch keine planwirtschaftliche Ordnung, sondern die Sorge des Staates um die wirtschaftlichen Aktionsräume, die die besonderen Interessen und Initiativen nicht ersticken, sondern vermitteln und sichern.
Die Auffassungen Hegels in bezug auf die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in den Markt lassen sich mutatis mutandis auch auf die Rolle der Arbeit übertragen.
Es muß zunächst Aufgabe der Gesellschaft sein, die Arbeit so zu organisieren, daß sie den Einzelnen ihre Subsistenz und Anerkennung sichert. Für Hegel läßt sich dieses Problem am besten dadurch lösen, daß sich der zweite Stand in Korporationen zusammenschließt. Diese Organisationform ist vernünftig und hebt die Antagonismen der bürgerlichen Gesellschaft zum großen Teil auf. Hegel hält zwar fest, daß es Aufgabe des Staates ist, die Korporationen zu beaufsichtigen (§ 255 Zus.), jedoch äußert er sich an keiner Stelle explizit darüber, wie sie wieder zusammenkommen sollen. Er konstatiert lediglich, daß »man in neueren Zeiten die Korporationen aufgehoben hat« (ebd.). Müßte es daher nicht Aufgabe des Staates sein, sie wieder einzuführen? Wenn Hegel jedoch der Auffassung ist, »was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig« (Vorrede, S. 24), dann geht er m.E. davon aus, daß sich die Korporationen als Endpunkt eines dialektischen Prozesses von selbst bilden werden. Da dies bis in die heutige Zeit nicht geschehen ist, stellt sich die Frage, wie der Staat dazu beitragen kann, daß dem Individuum in der Gesellschaft Subsistenz und Anerkennung gesichert werden und die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft nicht zur Auflösung derselben führen.
Auf die heutigen Umstände übertragen bedeutet dies, daß der Staat zunächst binnengesellschaftliche Lösungen in möglichst großem Umfang akzeptieren und fördern sollte. Auch wenn die gegenwärtige Form der Tarifpartnerschaft in mancherlei Hinsicht zu einer für beide Seiten unbefriedigenden Vermittlung der Interessen führt, sollte von Seiten des Staates vermieden werden, bestehende Kräfteverhältnisse zugunsten einer bestimmten Partei nachhaltig zu verschieben. Natürlich ist die Einschätzung der Arbeit als bloßes Vertragsobjekt sicherlich nicht im Sinne Hegels, jedoch verhindert die gemeinsame Vertretung der Arbeitnehmerinteressen durch die Gewerkschaften wenigstens »die Vereinzelung und Beschränktheit der besonderen Arbeit und damit die Abhängigkeit und Not der an diese Arbeit gebundenen Klasse« (§ 243). In gewisser Weise findet darin auch eine Versittlichung der Arbeit statt, wenn man bedenkt, daß der einzelne Arbeiter seine besonderen Fähigkeiten in einem allgemeinen Tarifvertrag einbringt. Die Leistung, die der Einzelne erbringt, wird somit zu einem Anteil der Leistung aller und in Relation zu dieser entlohnt. Ob es in bezug auf die Vermittlung von Arbeit und Kapital in absehbarer Zeit eine andere Form der Vermittlung geben wird, ist fraglich, zumindest sollte der Staat nicht zwangsweise eine solche herbeiführen.[56]
Ein problematischer Eingriff in den Arbeitsmarkt wären z.B. Versuche, staatlicherseits die hohe Arbeitslosigkeit nicht durch finanzielle Ausgleichsmaßnahmen abzufangen, sondern anstelle des durch die Arbeit erwirtschafteten Vermögens die Arbeit selbst zu verteilen. Es ist sicherlich nicht der Fall, daß die Mehrzahl der arbeitslosen Bevölkerung aufgrund fehlender Qualifikation nicht vermittelbar ist. Andererseits wird die Schere zwischen arbeitender Bevölkerung mit hohem Einkommen und arbeitslosen oder schlechtbezahlten Gruppen mit geringem Verdienst zunehmend größer. In diesem Zusammenhang gewinnt die Hegelsche Forderung, dem Einzelnen durch seine Arbeit Selbständigkeit und Ehre zu sichern, wieder an Aktualität (vgl. § 245). Gerade die Arbeitslosigkeit bringt es jedoch mit sich, kaum politischen Einfluß zu besitzen, so daß dieses Problem häufig erst durch eine Radikalisierung der betroffenen Gruppen ernstgenommen wird. Dennoch läßt sich ein Recht auf Arbeit innerhalb der Marktwirtschaft kaum verwirklichen, insbesondere nachdem sich die ökonomische Ineffizienz der sozialistischen Staaten gezeigt hat, in denen dieses Recht garantiert wurde. Für Hegel ist beständiges Wirtschaftswachstum und eine ins unendliche gesteigerte Vervielfältigung der Bedürfnisse ohnehin nicht das erklärte Ziel wirtschaftlichen Handelns (vgl. § 191 und Zus.). Natürlich würde auch jeder Wirtschaftspolitiker dies von sich behaupten, obwohl eine einseitige Fixierung auf eine möglichst hohe Steigerung des Sozialproduktes unverkennbar ist.[57] Ob dieses allgemeine Vermögen von allen gemeinsam erbracht worden ist und wiederum allen zugute kommt, wird mit dieser abstrakten Prozentzahl nicht deutlich. Die Frage nach der Realisierung konkreter Freiheit oder anderen immateriellen Werten zu stellen, ist ebenfalls müßig, da solche nicht in Geldbeträgen ausgedrückt werden können. Da jedoch letzten Endes der Staat wieder für solche Leistungen aufkommen muß, die weder der Einzelne noch das Solidarsystem der Sozialversicherung erbringen können, muß der einzelne Steuerzahler schließlich doch einen Einkommensverlust hinnehmen, den er durch den fehlenden Verzicht auf einen Teil seiner Arbeitszeit nicht zu geben bereit war. Da aber Steuererhöhungen noch schwieriger durchzusetzen sind als Kürzungen sozialer Leistungen, wird eher das soziale Netz als die Form der Arbeitsorganisation in Frage gestellt.[58]
Daß die fehlende Bewältigung der sozialen Probleme an ihre Grenze angelangt ist, zeigt der immense Schuldenberg, den Bund, Länder und Gemeinden in den vergangenen Jahren angehäuft haben. Dadurch kommt zum Ausdruck, daß die negativen Folgen gesellschaftlicher Wandlungsprozesse immer mehr zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Der Staat ist bei Hegel nicht dafür zuständig, dauerhaft für die negativen Auswirkungen gesellschaftlichen Handelns aufzukommen. Dies hätte zur Folge, daß staatliche und gesellschaftliche Institutionen sich feindlich gegenüber stünden, was Hegel entschieden verhindern möchte (vgl. § 301 Zus.).
Eine andere Möglichkeit, zu einer Umorganisation der Arbeit zu gelangen, bestünde in der gesellschaftlichen Anerkennung und Bezahlung bislang informeller Haushalts- und Erziehungsarbeit. Da die Anerkennung von Arbeit im wesentlichen durch die Höhe des Lohnes ausgedrückt wird, könnte die gesellschaftliche Sicherung des Vermögens der Familie, wie Hegel sie durch die Korporation erreichen möchte, auf diese Weise erleichtert werden. Zum einen würde dies die Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft auch in diesem Bereich widerspiegeln, zum anderen würde es dem Prinzip gerecht werden, daß soziale Unterstützungen nicht den Eindruck einer willkürlichen Zuwendung erwecken sollen. Damit sollte m.E. nicht eine Renaissance längst überwunden geglaubter Rollenklischees angestrebt, sondern einer gewissen Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit entgegengewirkt werden.[59] Daß bei allen solchen Überlegungen die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufgehen muß, versteht sich von selbst, jedoch sind bestehende Leistungskriterien vielfach fragwürdig geworden.
Die Schwierigkeiten einer staatlichen Arbeitsmarktpolitik sind somit nicht unbeträchtlich, da die nächstliegende Möglichkeit, daß der Staat selbst großangelegt als Arbeitsbeschaffer auftritt, schon von Hegel als kontraproduktiv angesehen wurde (vgl. § 245). Für ihn ist ein Überangebot an Arbeitskräften ein Zeichen fehlender Konsummöglichkeiten und durch eine Steigerung der Produktion prinzipiell nicht zu lösen. So empfiehlt Hegel pragmatisch den Export von Überproduktion und Überbevölkerung - eine Lösung, die in der heutigen Zeit global nicht mehr weiter ausgeschöpft werden kann.
Wie aus den vorangegangenen Ausführungen deutlich wurde, ist das Problem der Arbeitslosigkeit in den vergangenen beiden Dekaden wieder aktuell und zu einem der drängendsten geworden, nachdem es lange Zeit in der Bundesrepublik Deutschland einen Arbeitskräftemangel gab.
Wenn es aus obengenannten Gründen nicht ohne weiteres möglich ist, einen Teil der Bevölkerung in den Arbeitsprozeß zu integrieren, gehören diese Personen zu diejenigen, die aufgrund fehlenden Einkommens bald verarmen müßten, wenn der Staat nicht mit finanziellen Unterstützungen zur Hand wäre. Daß in der Bundesrepublik Deutschland ein Großteil sozialer Aufwendung durch die Solidargemeinschaft der Versicherten erbracht wird, zeigt die Möglichkeit gesellschaftlich organisierter Unterstützung. Dennoch macht z.B. die hohe Zahl von einer Million Wohnungslosen deutlich, daß selbst ein sehr dichtes soziales Netz grundsätzlich eine soziale Desintegration nicht verhindern kann. Die Existenz eines gut ausgebauten, unpersönlichen sozialen Sicherungssystems kann daher die konkrete Einbindung und Anerkennung des Einzelnen kaum ersetzen.
Diesen Defiziten entgegenzuarbeiten sollte daher Aufgabe des Staates mittels
einer geeigneten Familien- und Bildungspolitik sein. Da Familie und Korporation
die zwei Momente sind, »um welche sich die Desorganisation der
bürgerlichen Gesellschaft dreht« (§ 255 Anm.), sollte der Staat
insbesondere die Stabilität der familiären Strukturen fördern.
Für Hegel ist es nicht möglich, daß ein Individuum über
eine auf der Vernunft basierende Sittlichkeit verfügt, wenn es
keine natürliche in der Familie besitzt:
Ihre Erziehung [der Kinder, d.V.] hat die in Rücksicht auf das
Familienverhältnis positive Bestimmung, daß die Sittlichkeit
in ihnen zur unmittelbaren, noch gegensatzlosen Empfindung gebracht
[werde] und das Gemüt darin, als dem Grunde des sittlichen Lebens,
in Liebe, Zutrauen und Gehorsam sein erstes Leben gelebt habe, - dann aber die
in Rücksicht auf dasselbe Verhältnis negative Bestimmung, die
Kinder aus der natürlichen Unmittelbarkeit, in der sie sich
ursprünglich befinden, zur Selbständigkeit und freien
Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit, aus der natürlichen
Einheit der Familie zu treten, zu erheben. (§ 175)
Es ist daher Aufgabe von Erziehung und Bildung, die natürliche Sittlichkeit zugrunde zu legen und in eine vernünftige zu überführen (vgl. §§ 187 und Anm., 239 und Zus.). Die Allgemeinheit muß demnach ein Interesse daran besitzen, daß die zukünftigen freien Gesellschaftsmitglieder auf ihre spätere Rolle ausreichend vorbereitet werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, aus stabilen sozialen Verhältnissen und Beziehungen heraus selbst solche eingehen und sichern zu können, sowie sich ihren Platz im Arbeitsprozeß zu suchen und auszufüllen. Da die Familie eine entscheidende Funktion dabei einnimmt, spricht Hegel auch von der besonderen Aufgabe der Korporation, das Vermögen der Familie zu sichern (vgl. § 253). Ebenfalls soll der Gesetzgeber die Ehescheidung »aufs höchste erschweren und das Recht der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrechterhalten.« (§ 163 Zus., vgl. § 176).[60] Der Ehescheidung stellt Hegel die »sittliche Auflösung der Familie« gegenüber, die eintritt, wenn die Kinder »in der Volljährigkeit anerkannt werden« und eigene Familien gründen, bzw. als alleinstehende Personen leben (§ 177). Analog zur Arbeit soll auch in diesem Fall der Staat darauf abzielen, durch seine Gesetze das Bestehen familiärer Strukturen zu fördern.[61]
Auch wenn die Aufgaben des Sozialstaates in diesem Sinne verstanden und durchgeführt werden, können immer noch »zufällige, physische und in den äußeren Verhältnissen (§ 200) liegende Umstände« dazu führen, daß Individuen verarmen und auf die Unterstützung der bürgerlichen Gesellschaft angewiesen sind, die in diesem Falle die Rolle der vormodernen Familie übernimmt (§ 241). Diese ultima ratio führt zwar nicht zu Anerkennung und Ehre, verhindert für Hegel aber »Arbeitsscheu« und »Bösartigkeit« der Betroffenen (ebd.). Wenn diese Personen auch nicht selbst zum allgemeinen Vermögen und damit ihrer eigenen Subsistenz beitragen können oder dürfen - worunter m.E. auch Arbeitslosigkeit zählt -, darf die Gesellschaft ihrerseits nicht diesen Individuen ihre Vorteile vorenthalten (ebd.). Dieser Zustand ist zwar alles andere als wünschenswert, aber es hat ihn immer gegeben und wird ihn immer geben, und die Gesellschaft muß bewußt, und nicht zufällig, für solche Fälle aufkommen (§ 242). Das heißt, Subsistenz und Anerkennung werden durch soziale Unterstützungen zwar nicht im selben Maße ermöglicht wie durch eigene Arbeit, aber zumindest dürfen die besonderen Umstände nicht dazu führen, daß die davon betroffenen Individuen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden.
Wie aus den gesamten Ausführungen hervorgeht, ist für Hegel das Prinzip eines Sozialstaates in der bürgerlichen Gesellschaft fundamental mitenthalten, da das im Ökonomischen auf der Allgemeinheit beruhende System das Wohl der Allgemeinheit auch als besonderes Wohl des Einzelnen realisieren soll, so daß es »als Recht behandelt und verwirklicht sei.« (§ 230).
Obwohl Hegel daher sowohl in der Analyse der Gesellschaft als auch in der Bestimmung des Menschen entscheidende Ansätze geliefert hat, müssen dessen Lösungsvorschläge aus diesem Grunde noch nicht wortgetreu realisiert werden.
Daß dies nicht ohne weiteres möglich ist, liegt vor allem daran, daß sich bei Hegel die einzelnen Elemente der Gesellschaft und des Staates zu einem harmonischen Ganzen, einem zusammenhängenden System zusammenfügen, in dem jeder Teil seine besondere Funktion besitzt und eins auf das andere aufbaut. Aus diesem Grund hat es wenig Sinn, einzelne Elemente aus ihrem Zusammenhang getrennt heraus zu realisieren und damit zu glauben, Hegelsche Ideen zu rezipieren.
Andererseits müssen bestimmte Entwicklungen der Moderne, wie Parteiendemokratie, Parlamentarismus, republikanische Staatsformen, nicht rückgängig gemacht werden, um Hegelsche Vorstellungen in die Gestaltung der Gesellschaft neu einfließen zu lassen. Es sollte bei einer Rezeption Hegels daher vor allem gefragt werden, welche Idee oder welcher Geist hinter den jeweiligen gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen offenbar wird. Das heißt, auch wenn die einzelnen Elemente in ihrer Gesamtheit als komplettes System nicht mehr zu verwirklichen sind, sollten die Einzelbestimmungen dennoch nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben.
In bezug auf die Arbeit heißt dies z.B., daß eine Auffassung von Arbeit als bloßem Vertrag und Kostenfaktor, der stets wegrationalisiert werden kann, den Dimensionen von Arbeit als individueller Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Vermittlungsweise nicht gerecht wird. Wie diese Aspekte konkret realisiert werden können, ob in einer Korporation oder mittels Tarifpartnerschaft, ist nicht das Entscheidende. Wichtig dagegen ist die Bestimmung, daß das gesellschaftliche Vermögen von allen erbracht werden und allen zugute kommen soll. Schließlich sollte auch bedacht werden, inwieweit die integrative Leistung, die die Arbeit bei Hegel erfüllt, auf eine andere Weise gewährleistet werden kann, wenn die Arbeit in der heutigen Zeit nicht dazu in der Lage ist.
Was die Hegelsche Auffassung über die Differenzierung der Gesellschaft betrifft, so scheint die organische Entsprechung von gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen einem System von Parteien und Interessensverbänden Platz gemacht zu haben, das jeweils nur einzelnen Gruppen per Mehrheitsentscheid den Regierungsauftrag für die gesamte Gesellschaft erteilen kann. Hegel möchte dagegen weder die Gesellschaft atomisieren, noch alle Unterschiede einebnen. Für ihn ist es erforderlich, daß sich die einzelnen Bereiche bilden und artikulieren können, ihre Interessen respektiert werden und sie vom Staat in der entsprechenden Weise behandelt werden.
Betrachtet man die besondere Bedeutung, die Hegel der Familie und der Korporation als den sittlichen Elementen der bürgerlichen Gesellschaft beimißt, so läßt sich feststellen, daß sowohl die Situation der Familie unter Druck geraten ist, wie auch die Arbeit nicht in Form der Korporation organisiert ist. Daß bei Hegel beide Elemente aufs engste miteinander verknüpft sind, macht die Wichtigkeit einer sicheren ökonomischen und sozialen Verankerung der Familie deutlich und scheint die heutige Erfahrung vorwegzunehmen, daß eine Isolierung der Familie diese schnell überfordern kann, bzw. daß natürliche und vernünftige Sittlichkeit aufeinander angewiesen sind.
Was das Verhältnis von Staat und Gesellschaft betrifft, so besteht auch zwischen diesen beiden Elementen eine Spannung von zuviel und zu wenig Staat. Hegel spricht zwar dem Staat ein breites Spektrum von Aufgaben und Kompetenzen zu, jedoch legt er auch besonderen Wert darauf, daß Gesellschaft und Staat harmonisch ineinander übergehen. Weder die individuelle Freiheit noch die Tätigkeit des Staates werden dabei absolut gesetzt, sondern durch das staatliche Recht soll versucht werden, die Verwirklichung der Privatinteressen zu garantieren und zum Wohle der Allgemeinheit zu gestalten. Der Staat soll daher weder reines Instrument der Trennung, noch ein alles gängelnder und ausgleichender Verwaltungsapparat sein. Er muß zwar von seinen Bürgern gewollt werden, darf aber daraus nicht eine Legitimation ableiten, ein alles verschlingender Moloch sein zu dürfen.
Hegel erkennt und anerkennt somit die in der bürgerlichen Gesellschaft vorhandenen Gegensätze und versucht sie auf vernünftige Weise aufzuheben, so daß weder ein Moment sich beständig durchsetzt, noch beide sich in einem permanenten Kampf verschleißen. Daß die harmonische Aufhebung der Gegensätze der Gesellschaft ihre Dynamik nähme, setzt Hegel nicht voraus, eher befürchtet er, daß es ohne diese Aufhebung zur Zerstörung der Gesellschaft kommt.
Auch in Zukunft wird sich die Ausgestaltung der gesellschaftlichen Antagonismen weiterentwickeln, werden bürgerliche Freiheitsrechte und soziale Anspruchsrechte sich in einem Gegensatz befinden und austariert werden müssen. Den Zustand konkreter Freiheit zu erreichen, also die Zustimmung des Einzelnen zur gesellschaftlichen Ordnung und Übereinstimmung mit dem staatlichen Recht, wird immer eine schwer zu verwirklichende Aufgabe aller an der Mitgestaltung der Gesellschaft beteiligten Gruppen sein. Daß dieses Ziel als ein solches überhaupt erfaßt wird, wäre schon ein erster Schritt auf dem Weg zu dessen Realisierung.
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LUHMANN, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. 41991 SCHULZE, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt a.M. 21992
TAYLOR, Charles: Hegel. Frankfurt a.M. 1983
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[2] Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht auf das gesamte Hegelsche System Bezug genommen werden, wie z.B. auf das Verhältnis von subjektivem, objektivem und absoluten Geist. Der Ausfaltung des Begriffs liegt die Hegelsche Logik zugrunde, auf die hier nur hingewiesen werden kann. Lediglich andere Werke seiner Realphilosophie sollen zur näheren Erläuterung herangezogen werden.
[3] Vgl.: HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: "Jenaer Systementwürfe : Naturphilosophie und Philosophie des Geistes", in: Jenaer Systementwürfe. Band III. Neu herausgegeben von Rolf-Peter Horstmann. Hamburg 1987, S. 198-204
[4] Die Abhängigkeit der Menschen wird auf diese Weise beständig größer und die Gefahr des Verlustes einer einfachen und abstrakten Arbeit wächst im selben Maße.
5 Seit der frühen Neuzeit konnte sich getreu der Devise "Stadtluft macht frei" in den aufstrebenden Handelsstädten ein Bildungs- und Besitzbürgertum entwickeln, was allmählich zur Auflösung der feudalen Ordnung führte.
[6] Vgl. Kap. 4.3.2 Moderne Gesellschaft zwischen Individualität und Identität
[7] Mit der Polizei geht die bürgerliche Gesellschaft somit in der Weise über den "äußeren" Staat hinaus, wie sie das besondere Wohl als Recht behandelt.
[8] Aus diesem Grunde besitzen die meisten der im Grundgesetz garantierten Rechte eine Einschränkung.
[9] Diese Feststellung ist tagtäglich zu beobachten, wenn es darum geht, innerhalb der Gesellschaft Regelungen und Grenzwerte festzulegen, die diese Gesellschaft als zumutbar akzeptieren kann.
[10] Ein Slogan wie "Freie Fahrt für freie Bürger" macht deutlich, wie empfindlich manche Personen auf eine bestimmte, durchaus vernünftige Einschränkung reagieren können, selbst wenn sie im selben Umfeld hunderter anderer, zum Teil nicht einmal bekannter Regelungen unterworfen sind.
[11] An dieser Stelle geht Hegel nicht darauf ein, daß es eigentlich Aufgabe der Gesellschaft wäre, die Kinder auf das Eintreten in einen bestimmten Stand vorzubereiten. Die Erziehung muß daher so allgemein sein, daß sie keinem besonderen Stand entspricht, da auf diese Weise eine starke Einschränkung der Freiheit der Berufswahl verbunden wäre. Andererseits ist das Kind ständig mit der Lebensweise des Standes seiner Eltern verbunden, so daß sich schon hier die Frage stellt, wie Hegel dieses Problem zu lösen gedenkt.
[12] Durch diese Maßnahme wird die Soziale Frage als Widerspruch des kapitalistischen Systems scheinbar mitexportiert.
[13] Die systematische Kolonisation erstreckte sich im vergangenen Jahrhundert vor allem auf Afrika und Asien und war Teil der imperialistischen Machtpolitik der europäischen Großmächte und der USA, wogegen der größte Teil der Auswanderungswelle in die schon bestehenden Staaten Nord- und Südamerikas schwappte.
[14] Vgl. § 185, Kap. 3.3.5 Die Dialektik der modernen Industriegesellschaft
[15] Vgl. Kap. 3.2.6 Die Aufteilung der verschiedenen Stände in bezug auf die Ausführungen über den ersten Stand.
[16] Vgl.: HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: "Phänomenologie des Geistes", in: Werke in 20 Bänden, Band 3. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu editierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a.M. 41993, S. 137-155
[17] Vgl. die anschauliche Darstellung der Hegelschen Gesellschaftsphilosophie in: TAYLOR, Charles: Hegel. Frankfurt a.M. 1983, S. 177-293 (zur Phänomenologie), S. 477-604 (zu Geschichte und Politik)
[18] Vgl. Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts.
[19] Vgl. Kap. 1.2.3 Die Sittlichkeit
[20] Hegel wandte sich an verschiedenen Stellen der Rechtsphilosophie gegen das Gleichheitsprinzip, das er als Folge rousseauschen Denkens abstempelte, so in § 5 Anm., § 258 Anm.
[21] »Die Vorstellung (...) ist vornehmlich etwa, daß die Abgeordneten aus dem Volk oder gar das Volk am besten verstehen müsse, was zu seinem Besten diene, und daß es den ungezweifelt besten Willen für dieses Beste habe. Was das erstere betrifft, so ist vielmehr der Fall, daß das Volk, insofern mit diesem Worte ein besonderer Teil der Mitglieder eines Staates bezeichnet ist, den Teil ausdrückt, der nicht weiß, was er will. Zu wissen, was man will, und noch mehr, was der an und für sich seiende Wille, die Vernunft, will, ist die Frucht tiefer Erkenntnis und Einsicht, welche eben nicht die Sache des Volkes ist.« (§ 301 Anm.).
[22] »Von dem Wählen durch die vielen Einzelnen kann noch bemerkt werden, daß notwendig besonders in großen Staaten die Gleichgültigkeit gegen das Geben seiner Stimme, als die in einer Menge eine unbedeutende Wirkung hat, eintritt und die Stimmberechtigten - diese Berechtigung mag ihnen als etwas noch so Hohes angeschlagen und vorgestellt werden - eben zum Stimmgeben nicht erscheinen; - so daß aus solcher Institution vielmehr das Gegenteil ihrer Bestimmung erfolgt und die Wahl in die Gewalt Weniger, einer Partei, somit des besonderen, zufälligen Interesses fällt, die gerade neutralisiert werden sollte.« (§ 311 Anm.).
[23] »In der öffentlichen Meinung (s. § 316) aber ist jedem der Weg offen, auch sein subjektives Meinen über das Allgemeine zu äußern und geltend zu machen.« (§ 308 Anm.).
[24] siehe Kap. 4.4.1 Arbeit als Ort der Differenzierung der Gesellschaft
[25] Als Beispiele seien die Endlosdiskussionen um den § 218, die Atomenergie, neuerdings die Gentechnik, genannt.
[26] Bei der sog. sozialen Indikation im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs lag gewissermaßen eine gesellschaftlich begründete Aufspaltung des Rechts vor, da die Strafbarkeit einer Handlung prinzipiell in Abhängigkeit von der sozialen Situation gesehen wurde. Dennoch widerspricht diese Regelung eigentlich dem Rechtsempfinden der Gesellschaft, obwohl jedwede rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruches nur als schlechter Kompromiß empfunden wird.
[27] Auch praktische Erwägungen, wie erforderlicher Landbesitz als Voraussetzung für das Eintreten in den ersten Stand, können gegen Hegels Konzept eingewandt werden, obwohl gerade der relativ problemlose Zugang zum Kapitalmarkt die soziale Mobilität begünstigt hat.
[28] In gewisser Hinsicht besteht mit der Diskussion über das Für-und-Wider des dreigliedrigen Schulsystems eine Illustration des Problems der Differenzierung.
[29] In der Soziologie gibt es Ansätze, die unterschiedliche Gesellschaftsschichten anhand ihres Freizeitverhaltens und Mediengebrauchs zu klassifizieren, vgl.: SCHULZE, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt a.M. 21992
[30] Hegel befürwortet daher auch ein Zwei-Kammer-System (§ 312).
[31] An mehreren Stellen wandte sich Hegel entschieden gegen solche Forderungen (vgl. § 46 Anm., § 49 Anm., § 200).
[32] Natürlich haben auch die Staatsdiener ein Privatinteresse an einem bestimmten Einkommen, für das der Staat aufkommen muß (vgl. § 205).
[33] Natürlich sind Hegels Ausführungen in dieser Beziehung nicht mit denen Max Webers vergleichbar. Hegel führt jedoch zahlreiche Beispiele an, die seine Auffassung von der Situation außereuropäischer Völker darstellen. Seine diesbezügliche Einstellung kommt in der folgenden abfälligen Bemerkung zum Ausdruck: »Der Barbar ist faul und unterscheidet sich vom Gebildeten dadurch, daß er in Stumpfheit vor sich hin brütet.« (§ 197 Zus.).
[34] Die sog. "industrielle Reservearmee".
[35] »Es ist wohl an die anderthalbtausend Jahre, daß die Freiheit der Person durch das Christentum zu erblühen angefangen hat und unter einem übrigens kleinen Teile des Menschengeschlechts allgemeines Prinzip geworden ist. Die Freiheit des Eigentums aber ist seit gestern, kann man sagen, hier und da als Prinzip anerkannt worden. - Ein Beispiel aus der Weltgeschichte über die Länge der Zeit, die der Geist braucht, in seinem Selbstbewußtsein fortzuschreiten - und gegen die Ungeduld des Meinens.« (§ 62 Anm.).
[36] »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.« MARX, Karl: "Zur Kritik der politischen Ökonomie. Vorwort", in: MARX, Karl; ENGELS, Friedrich: Werke. Band 13. Berlin 1969, S. 9
»Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keinster Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.« MARX, Karl: "Das Kapital. Band I", in: MARX, Karl; ENGELS, Friedrich: Werke. Band 23. Berlin 1969, S. 27
[37] Es dauerte daher ziemlich lange, bis die Arbeiterschaft das Bewußtsein erlangt hatte, für die eigenen Rechte kämpfen zu müssen und nicht in der Abhängigkeit zu verharren. Charakteristisch dabei war m.E. der Anspruch vieler Intellektuellen, die Bedürfnisse der Arbeiter zu kennen und durchsetzen zu wollen, selbst gegen deren Widerstand.
[38] Das könnte z.B. dazu führen, daß eine ökologisch eingestellte Person, die aus rein ökonomischen Gründen in einer Automobilfabrik oder einem Chemieunternehmen arbeiten muß, über diese Arbeit entgegen ihrer Überzeugung auch politisch vertreten wird. Natürlich läßt Hegel immer die Hintertür der öffentlichen Meinung offen, aber hier ist die Trennung von Gesellschaft und Politik dem Einzelnen von Vorteil.
39 Die deutsche Sprache reflektiert diese zweifache Bedeutung: Der Verdienst entspricht dem Einkommen, das Verdienst bezeichnet eine besondere Anerkennung.
[40] Vgl. Kap. 4.4.3 Der Widerspruch von Arbeit und Kapital
[41] Dies bedeutet kein bedingungslosen Sich-Aufgeben, da für Hegel die Person sich immer einen eigenen Freiheitsraum bewahren muß (vgl. § 66 und Anm.).
[42] Die Mitgliedschaft in einem Fußball- oder Kaninchenzüchterverein kann zwar bestimmte Gemeinschaftsbedürfnisse befriedigen, jedoch nicht das Individuum umfassend integrieren. Religion und Kultur können ebenfalls einen eminent integrativen Charakter besitzen. Des weiteren bietet eine fehlende gesellschaftliche Vermittlung einen Nährboden für politische Ideologien.
[43] Vgl. Kap. 4.5.2 Der Staat als Ausgangspunkt und Zweck der bürgerlichen Gesellschaft
[44] Vgl.: MARX, Karl: "Kritik des Hegelschen Staatsrechts", in: MARX, Karl; ENGELS, Friedrich: Werke. Band 1. Berlin 1970 S. 203-333; ders.: "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung", ebd. S. 378-391. Marx hat sich jedoch erst später mit der politischen Ökonomie auseinandergesetzt.
[45] Gerade zahlreiche Entwicklungsländer leiden aufgrund instabiler Währungsverhältnisse erheblich darunter, daß das einheimische Kapital ins Ausland abfließt; ein gewiß unsoziales Verhalten der Kapitalbesitzer, da es die Volkswirtschaft ruiniert.
[46] »Wie es einerseits das Versöhnende ist, in dieser Sphäre der Bedürfnisse dies in der Sache liegende und sich bestätigende Scheinen der Vernünftigkeit zu erkennen, so ist umgekehrt dies das Feld, wo der Verstand der subjektiven Zwecke und moralischen Meinungen seine Unzufriedenheit und Verdrießlichkeit ausläßt.« (§ 189 Anm.).
[47] Zahlreiche Unternehmen benutzen ihr Eigenkapital zu Devisenspekulationen. Das Unternehmen Siemens erzielte im vergangenen Jahr zwei Drittel seines Gewinnes auf diese Weise. Die eigentliche Produktion wird scheinbar überflüssig, bei Verlustgeschäften im Devisenhandel sogar ernsthaft gefährdet, z.B. bei der Volkswagen AG, der Frankfurter Metallgesellschaft.
[48] »Diese Befreiung ist formell, indem die Besonderheit der Zwecke der zugrunde liegende Inhalt bleibt.« (§ 195)
[49] Die hohe Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 hat in nicht unbeträchtlichem Maße zum Aufstieg der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik beigetragen.
[50] Eine Weiterführung der Idee der Differenzierung stellt die sog. Systemtheorie dar, vgl.: LUHMANN, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M. 41991
[51] Vgl. Kap. 4.5.3 Die Aufgaben des Staates in Wirtschafts- und Sozialpolitik
[52] Wie die Geschichte gezeigt hat, haben sich gerade solche Ideologien des Staates bedient, die sich aufgrund ihrer Methoden und Auffassungen ohne Instrumentalisierung des Staates nicht ohne weiteres hätten durchsetzen können.
[53] Eine Ausschaltung der Gesellschaft, also deren Verstaatlichung, geschieht daher oft in Staaten, in denen die Integration großer oder energischer Bevölkerungsgruppen nicht gewährleistet ist. Als integratives Element, das dann für alle gesellschaftlichen Sphären gelten soll, dienen häufig Nationalismen oder Ideologien.
[54] Hegel dachte sicher nicht daran, daß - wie die Verkehrsproblematik zeigt -, die öffentliche Macht einmal mit der Verwaltung des Wohlstandes überfordert sein würde. Betrachtet man den Besitz eines privaten Kraftfahrzeugs als Ausdruck von Wohlstand und die damit verbundene Mobilität als Zeichen abstrakter Freiheit, so wird deutlich, daß diese Form von Wohlstand und Freiheit an ihren Grenzen angelangt sind. Daß jedoch ein wesentlicher Teil der Wirtschaft auf dem Kraftfahrzeug basiert, zeigt die gegenseitige Verschränkung von abstrakter Freiheit und Marktwirtschaft - das System reproduziert sich selbst.
[55] Am Beispiel das japanischen Industrieministeriums MITI wird deutlich, wie die staatliche Festlegung von Import- und Exportkontingenten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie dienen kann. Ein solches Steuerungsinstrument kann jedoch kein Patentrezept sein, da die Abhängigkeit der Industrie von einer kompetenten Verwaltung in diesem Falle nicht unerheblich ist, und eine Fehllenkung und Fehleinschätzung der Wirtschaft beträchtliche negative Folgen haben könnte.
Wenn Hegel zu seiner Zeit eher an eine Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten dachte, könnte man ihn m.E. als Verfechter einer imperialistischen Handelspolitik sehen.
[56] Eingriffe in die Tarifautonomie werden prinzipiell von beiden Tarifpartnern abgelehnt. Das Instrument der konzertierten Aktion hat sich nicht als besonders effektiv erwiesen, obwohl Stimmen nach einem Runden Tisch in neuester Zeit wieder aufgekommen sind.
[57] Staatliche Wirtschaftspolitik befindet sich immer im Spannungsfeld des Magischen Vierecks, bzw. Fünfecks (unter Einbeziehung des Umweltschutzes). Dennoch wird die Steigerung des Wirtschaftswachstums mit wesentlich größerer Anstrengung betrieben als die Senkung der Arbeitslosenzahlen.
[58] Auch in diesem Falle zeigt sich wieder der Gegensatz von Arbeit und Kapital, da die Aufteilung von Arbeitsleistung auf eine größere Zahl von Personen einseitig Einkommensverluste der Arbeitnehmer zur Folge hätte. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich kann jedoch ebenfalls keinen Effekt auf den Arbeitsmarkt zu haben, da sie zu weiteren Rationalisierungsmaßnahmen führt.
[59] Die Stellung der Frau in der Gesellschaft hat sich seit Hegel fundamental gewandelt. Den Forderungen nach Gleichberechtigung stehen in vielen Bereichen noch Benachteiligungen gegenüber. Frauenarbeitslosigkeit und eine zunehmende Anzahl alleinerziehender Haushalte gehören ebenfalls zu den aktuellen gesellschaftlichen Problemen, deren Lösung noch offensteht.
[60] Die Ehe ist bei Hegel nur an sich unauflöslich und kann daher geschieden werden (§ 163 Zus.). Hegel begründet dies seltsamerweise mit einem Hinweis auf das jesuanische Scheidungsverbot bei Mt 19, 8 und Mk 10, 5 (ebd.).
Die Erschwerung der Ehescheidung kann sich nicht allein auf das rechtliche Verfahren der Scheidung selbst beziehen, sondern muß m.E. auch die gesellschaftlichen Bedingungen im Auge behalten, die zu einer Zerrüttung der Ehe führen können.
[61] In der gegenwärtigen Situation zählen dazu insbesondere eine Bekämpfung der Wohnungsnot und Senkung der Mietpreise. Da die kompletten Kosten für die Erziehung eines Kindes in der Bundesrepublik Deutschland auf 500.000 DM pro Kind geschätzt werden, bedeutet eine Anzahl von zwei oder mehr Kindern für viele Familien schon einen finanziellen Ruin.
[62] Daß sich Hegel über eine zunehmende Umweltzerstörung und deren mögliche Folgen nicht im klaren war, wird häufig auch mit Hegels abschätzender Einstellung zur Natur begründet.
[63] Vgl.: Aristoteles: Opera, 1253 a 1-4
copyright Friedhelm Greis 1995
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